19.01.11

1 - Wasser ist alles, was zählt

Morgen, Gulf of Thailand, Hua Hin 2011
Im Jahr, in dem wir uns jetzt befinden, stellt sich die Frage, ob wir alles beim Alten lassen oder ob wir nicht konsequenter sein wollen, konsequenter weil das, was wir tun, nicht identisch ist mit dem Sein, das wir in uns haben und das selbstverständlich nicht aufhört damit, uns jene Wege zu zeigen, die alles enthalten, auch das, was wir im Wahn nicht behielten, im Wahn, die Realität sei alles, was ist. Wir wähnten uns sicher in dem, was sich selbstständig machte und was sich die Erde so untertan machte, dass nichts mehr so blieb, wie es war. Wir kamen uns vor, als wären wir Schöpfer und diese, die alles erfinden, um sich ein Dasein zu schaffen, das nicht mehr von Konditionen beherrscht ist, die alles beschränken und so einengen, dass am Ende nicht bleibt, was war. 
Wir wollten kein Ende erleben. Wir wollten nur da sein, nichts sonst, immer nur da sein und uns mit dem Reichtum verwöhnen, der uns und niemandem sonst gehört. Der Reichtum wurde uns nicht geschenkt, sondern er wurde von uns erarbeitet. Wir kämpften wie wild für ihn, und als wir ihn schliesslich erhielten, nahmen wir wahr, dass er sich selber vervielfacht, wenn wir vorsichtig sind und ihn nicht verschenken an jene, die keine Vorstellung haben, was er enthält. 


Mittag, Gulf of Thailand, Hua Hin 2011
Der Reichtum enthält diese Erde, die keine Hoffnung mehr ist, sondern Realität. Der Reichtum beschert uns die Erde nicht mehr als widersprüchlichen Ort, sondern als diese Sache, die wirklich vorhanden ist. Der Reichtum ist wie ein Wunder, weil er Tatsachen schafft und nicht mehr zum Glauben verleitet. Die Tatsachen, die schliesslich entstanden, waren irgendwann so, dass sie die Erde so machten, dass alles verschwand, was sie war. 
Die Erde verlor ihre Erde und wurde zum Stein, der sich selbst als monumentales Erbe, als Erbschaft vorkam. Die Erbschaft der Erde wurde uns jetzt zum Verhängnis, denn sie machte den Reichtum zur Armut und machte, was wir nicht vermochten. Was wir nicht vermochten, ist etwas, das klein scheint, das aber am wichtigsten überhaupt ist. Wir waren im Glauben, dass sich die Sachen schon arrangieren, wenn wir weiter machen im Text, weiter in diesem Text, der die Sprache so aushöhlt, dass es keinen Inhalt mehr gibt. Wir waren im Glauben, dass sich die Schönheit nicht aufgibt, wenn wir kein Wachstum erschaffen, sondern den Stillstand erzeugen, der steht, einfach nur steht, also nicht weicht und nicht wechselt, wie er es sonst tut. 


Nachmittag, Gulf of Thailand, Hua Hin 2011
Die Schönheit verging. Ich kann es nicht leugnen. Aber als Reisender bin ich schon dort, wo diese Schönheit erscheint, die nicht nur den Stein überdauert, sondern auch dieses Denken, das sich mit künstlichem Wissen erhob, um über die Zeit zu bestimmen. 
Die Erde verbarg sich im Stein, und dieser schloss sie nicht ein, sondern er machte aus ihr eine Perle, die einzige Perle, die sich als Anfang und nicht als Ende ins Wasser des Daseins trug. Im Wasser des Daseins war der Stein nicht nur ein Stein, sondern er war auch ein Same, der wuchs, ja, er wuchs aus sich selber heraus und liess diese Schönheit entstehen, die erst noch erscheint. 


Die Schönheit erscheint mir tagtäglich, aber mein Auge sieht auch diese Sachen, die in sich verloren sind. Die in sich verlorenen Sachen können nicht schön sein, denn das, was sie ausmacht, ist nur der Schaum, der entsteht, wenn sich die Wellen so brechen, dass sich alles nach aussen kehrt. Wenn sich alles nach aussen kehrt, entstehen die Schaumfiguren, also diese Figuren, die nur Sekundenbruchteile erleben, aber nicht diese Dauer, die sich ununterbrochen ereignet. Das Ereignis der Dauer wird immer nur dann zum Ereignis, wenn jemand sein eigenes Wasser erfährt. Seit sich die Erde erneuert, seit sie im Wasser ist, versteinert sie immer wieder, und immer wieder kommt es soweit, dass sie sich selber entsteint, um Anfang zu schaffen für das, was kommt und was wachsen muss. 


Abend, Gulf of Thailand, Hua Hin 2011
Jetzt komme ich wieder dorthin, wo diese Reise begann. Sie begann schon in alten Zeiten, schon damals, als diese, die sangen, nichts anderes machten, als sich dem Rhythmus der Zeit zu geben, dem Rhythmus, der alles bestimmt. 
Ich will jetzt nicht sagen, dass ich ähnlich wie Homer bin, ähnlich wie dieser, der sich alles merkte, was war, um alles ins Ganze zu bringen, in jene Ganzheit hinein, die den sinnlosen Sachen Sinn gibt, den Sinn der Schönheit, der darin besteht, alles zur Blüte zu bringen. Homer war einzigartig, und niemand ist ähnlich wie er. Aber jeder, der dichtet, verwaltet das Erbe, das er von ihm bekam. Sein Erbe ist jedoch kein Stein, vor dem man hinkniet und vor dem man kapituliert, sondern es ist wie Wasser, wie jenes Wasser, das ich erwähnte und von dem ich trinke und trinke, um jenes Ziel zu erreichen, das nicht nur anders ist, sondern auch gleich. 


Ich weiss, dass die Sprache ein Schiff ist, und weil sie ein Schiff ist, ist sie nicht an irgendetwas gebunden, an etwas, das steht und fällt, sondern sie ist nur an sich selber gebunden, an sich und nicht an die Sicht, die ihr von jenen gegeben wurde, die einfach nur schrieben und schrieben, um einen eigenen Stein in diese Mauer zu setzen, die nur als Denkmal entsteht. Alle, die schrieben, fast alle, wollten in jene Mauer hinein, in der sie sich sicher fühlten, weil sie so stark erscheint. Stark war jedoch noch nie eine Mauer, nicht nur weil es die Zeit gibt, sondern auch deshalb, weil sich das Starke starr macht und weil es sehr einfach zerbricht. 
Die Starrheit, von der ich spreche, ist immer ein schlechtes Zeichen, und wenn ich in unsere Zeit hinein schaue, dann sehe ich, dass dieses Zeichen überall vorherrschend ist. 
Ich will jetzt aber nicht klagen, nicht über die Starrheit und natürlich auch nicht darüber, dass die Sprache verloren geht, denn die Sprache geht gar nicht verloren, denn die Stärke, die sie besitzt, ist diese des Wassers, weil in ihr das Wasser ist. 


Nacht, Gulf of Thailand, Hua Hin 2011
Die Dichter schöpften nur aus dem Wasser, aus dem unendlichen Wasser der See, auf der sie sich fortbewegten, weil sie nicht still stehen wollten, weil sie nicht starr sein wollten, weil sie sich selber sein wollten, sich und nichts sonst. Sich und nichts sonst waren die Dichter, die der Sprache gehorchten und sie nicht benützten, weil jeder, der die Sprache benützt, kein Wasser bekommt, sondern nur diesen Ruhm, der wohl tut, wenn man ihn spürt.
Alles, was wohl tut, ist gut, aber noch besser ist es natürlich, wenn man sich selber ist. Wenn man sich selber ist, dann wünscht man sich nicht, irgendetwas von dem zu bekommen, was der Realität entspricht, weil die Realität keine Wirklichkeit ist. Wenn man  sich selber ist, dann wünscht man sich viel, weil man nie genug hat von dem, was wie auch immer Wirklichkeit ist. Was wie auch immer Wirklichkeit ist, will man in sich hinein nehmen, in seine Sprache hinein. Aber alles, was nur real ist, interessiert einen nur, weil es sich trennt von dem, was wächst und lebendig ist. 
Wasser ist alles, was zählt, und deshalb wird jetzt in Wellen erzählt, was jetzt, wo ich bin, geschieht. 

Hua Hin, 19. Januar 2011

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