24.02.11

10 - Im Widerstand gegen die Sprache

Mit der Sprache ist es so eine Sache: Sie entspricht oder sie setzt die Dinge so ausser Kraft, dass keine Verbindung mehr zu ihnen besteht. Anders gesagt: Mit der Sprache ist es uns möglich, in die Sachen hinein, bis zu den Dingen zu sehen, oder es kann auch geschehen, dass wir dank der Sprache vergessen, dass es hinter den Sachen noch etwas gibt. 

Die deutsche Sprache ist, wie alle Sprachen, eine Erkenntnissprache, aber vieles, was in ihr geschrieben wurde, ist weder dinghaft, noch so, dass sich der Raum, den es gibt, vergrössert. Der Raum, den es gibt, wurde von vielen deutschen Schriftstellern in virtuoser Weise beschrieben, aber weil sie ihn einfach beschrieben, waren sie nicht imstande, in ihn hinein zu gehen, vor ihn, dorthin, wo sich die Dinge befinden.


Doch sobald ich dies sage, ist das erste Problem schon da, denn die Dinge werden in einen Topf mit den Sachen geworfen, und weil deshalb der Unterschied, den es gibt, nicht mehr verstanden wird, versteht man auch nicht, dass es eine Seite und noch eine andere gibt.

Es gab einige deutsche Dichter, die Nähe zur Dingwelt besassen, aber es gab, wenn man von Hölderlin oder Kafka oder einigen anderen absieht, keine deutschen Schriftsteller, die ihre Sprache so weit gebracht haben, dass sie die sichtbare Seite durchsichtig und diese Seite erfahrbar machte, die unsichtbar ist. Die sichtbare Seite ist in der deutschen Sprache die einzige Seite, und deshalb haben viele Autoren eine zweite Seite erfunden, eine Seite, die anders als die sichtbare Seite ist und die dieser mehr Spannung gibt. 
Aber eine erfundene Seite ist keine wirkliche Seite, denn das Denken erfindet und weil es selbst eine Sache ist, kann es die Dinge nicht fassen. 

Die deutsche Literatur ist im Grunde eine Sachliteratur, eine die Sachen beschreibende Literatur, die viel erreichte, aber nie erreichte, was andere Literaturen erreichten. Die französische Literatur oder die spanische Literatur oder die englische Literatur waren immer viel näher bei dem, was sich sozusagen hinter der Sprache befindet, was - ich will es so formulieren - die Sprache zur Sprache macht. Was die Sprache zur Sprache macht, ist ihr Wissen, was jedoch nicht heisst, dass die Erfahrung, die die Sprache enthält, das Entscheidende ist. 

Die Erfahrung ist wichtig, und wenn man die Sprache studiert, kommt man immer wieder in die Etymologie, in die Erfahrungs- geschichte der Sprache, denn ohne Erfahrung ist jedes Wort leer. Ohne Erfahrung wäre die Sprache nur ein System, ein Wortsystem, das sich für vieles verwenden liesse, aber nicht für die Erkenntnis dessen, was in und hinter der Sachwelt ist. 


Was in und hinter der Sachwelt ist, können wir nur verstehen, weil die Sprache ein Speicher ist, ein Erfahrungsspeicher, in dem wir auf alles zurückgreifen können, was je von Menschen gesehen wurde. Was je von Menschen gesehen wurde, ist in der Sprache enthalten. Ja, alles, was irgendeinmal erkannt worden ist, ist ein Teil dieser Sprache, die sich dauernd entwickelt. 
Die Sprache entwickelt sich deshalb, weil jeder, der spricht, einen Schritt in ihr macht, einen Erkenntnisschritt oder zumindest einen Erfahrungsschritt. Die Entwicklung der Sprache hängt von der Entwicklung ab, die wir in ihr machen, was konsequenterweise bedeutet, dass das Denken die Sprache zum Stillstand bringt, anstatt sie zu bewegen. 


Das Denken wirkt sich so aus, dass die Sprache die Dimensionen verliert, weil es nur eine Dimension abdeckt. Die Sachwelt ist dem Denken geläufig, aber die Dingwelt kann es nicht fassen, weil sie jenseits von ihm existiert oder, besser gesagt, weil sie nicht existiert, sondern ist. Die Existenz liegt im Bereich des Denkens, aber was vor und hinter der Existenz liegt, kann vom Denken nicht eingefangen und natürlich auch nicht begriffen werden, denn das Denken ist Körper, und wenn man vom Körper ausgeht, um sich den Dingen zu nähern, dann versteht es sich ganz von selbst, dass eine Sachliteratur entsteht. 


Die Dinge sind Dinge, weil es die Wirklichkeiten im Sein und im Dasein gibt. Die Seinswirklichkeiten sind Dinge, und die Daseinswirklich-
keiten sind Sachen. Und wenn jemand schreibt, dann erzählt er von den Dingen und von den Sachen, ja, dann erzählt er davon, wie sich die Dinge zu Sachen machen und was dann geschieht, wenn sich die Sachen selbstständig machen und wenn ihnen ihr Wissen fehlt.

Die Sachen sind voller Wissen, solange sie dinghaft sind. Sie verlieren ihr Wissen jedoch, wenn sie existieren und nur existieren und nur noch Zeit sind und nicht mehr Zeitlosigkeit. Die Sprache ist kein System, sondern ein organisches Ganzes, ein Organismus, der lebt. Von Systemen weiss man, dass sie einfach funktionieren, so funktionieren, dass das, wofür sie gemacht sind, konkret werden kann. Weil die Sprache aber nicht nur ein System ist, sondern ein sich entwickelnder Organismus, besitzt sie die Eigenschaft, die Dingwelt zur Sachwelt und die Sachwelt zur Dingwelt zu machen oder, anders gesagt, die Schöpfung so zu erzählen, dass sie im gleichen Moment entsteht. 
Die Sprache, die so erzählt, lässt keine Sachliteratur entstehen, sondern diese Literatur, die man als Dichtung bezeichnet. Die Dichtung hat in der deutschen Sprache fast keine Tradition. Es gab und es gibt die Dichter, die Lyrik abfassten. Doch die Lyrik ist eine Form, eine literarische Form, und sie hat wenig mit dieser Dichtung zu tun, von der ich jetzt spreche. 

Die Dichtung ist diese Sprache, die sachlich und dinghaft ist, die erzählt, ohne dass sie irgendetwas erfindet, die mit der Zeit arbeitet, aber nicht so, dass sie sie verabsolutiert und dass sie sie zur einzigen Sache macht. Die Dichtung ist keine Form und auch keine Gattung, sondern ein sprachliches Miteinander und Ineinander von Wirklichkeiten, die sichtbar  und unsichtbar sind, von Sachen und Dingen, von Welt und von dem, was man als Realität bezeichnet. 

Jeder Dichter schreibt so, dass seine Subjektivität nicht die Hauptrolle spielt und dass seine Erfahrung nicht darüber entscheidet, in welche Richtung sich seine Dichtung entwickelt. Jeder Dichter schreibt so, dass die Sprache die Richtung bestimmt und dass sie sich selber gestaltet. Jeder Dichter schreibt so, dass man beim Lesen ins Neue kommt und dass man mit dem Alten abschliessen kann, was konsequenterweise bedeutet, dass er selber den Sprung machen muss, den dauernden Sprung in das, was er noch nicht kennt. Der Dichter kann sich nicht an die Sprache anpassen, die von jenen gesprochen wird, die sich in der Gesellschaft befinden, in dieser Gesellschaft, die nichts anderes macht, als sich selber zum Inhalt zu machen. 


Die deutschen Schriftsteller waren immer, fast immer gesellschaftskonform, und sie wollten immer, fast immer eine Rolle in der Gesellschaft spielen. Sie sahen sich selber als Zeitgenossen, die die Sprache einsetzten, damit die Realität einen Spiegel bekam. Sie spiegelten die Realität und waren sich kaum im klaren, dass die Realität ein System ist und dass die Sprache nicht dazu da ist, einem System einen Spiegel zu geben. 
Die deutschen Schriftsteller wussten sehr viel über vieles, aber sie wussten nicht viel über die Sprache, über die Seele der Sprache, denn diese war irgendwo, irgendwo in der Geschichte, die vor Luther begann.


Vor Luther war die deutsche Sprache noch eine Sprache, die sich selber entwickelt hat, die viele Sprachen in sich enthielt. Seit Luther ist die deutsche Sprache die Sprache, die mit dem Glauben zusammenhängt und die man zum Herrschen braucht, zum Beherrschen des Denkens, das systematisch sein muss, damit es erfolgreich ist. Seit Luther ist die deutsche Sprache die Sprache der Denker, aber nicht dieser Dichter, die spiegeln, alles spiegeln, nicht nur die Realität. 

Dass die deutsche Sprache die Sprache der Dichter und Denker ist, ist ein Mythos, den diese am Leben erhalten, die nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun haben, was Dichtung bedeutet. 
Dichtung bedeutet Zeit, die sich selber zur Dauer macht, indem sie jedes System verlässt, um in diese Struktur zu gehen, die die Schöpfung erschafft. Dichtung bedeutet Musik, die dem elementaren Rhythmus entspricht und diesen so einsetzt, dass er bildhaft erscheint. 

Die deutsche Sprache wird wieder dichterisch werden, wenn diese, die schreiben, nicht mehr mit diesen Systemen funktionieren, mit diesen Denksystemen, mit denen man machen kann, was man will, mit denen man so mit der Realität umgehen kann, dass sie so aussieht, als wäre sie eine Schöpfung, eine widersprüchliche Schöpfung zwar, eine Schöpfung jedoch, die sich so vervielfältigt, dass man genug hat mit ihr. 

Nein, mit der Realität kann man nicht genug haben, denn sie ist eine Sackgasse, eine Gasse, die in ihr eigenes Ende, in dieses Ende führt, das Samuel Beckett   beschrieben hat. Samuel Beckett war wirklich ein Dichter, und wenn man ihn liest, kommt man vom Wort in die Sprache und von der Sprache in diesen Raum, der unendlich und so ist, dass man sich selber erkennt, dass man erkennt, wer man ist. 

Ein deutscher Samuel Beckett wäre ein Glücksfall gewesen, aber es gab diesen Glücksfall nicht, sondern es gab nur diesen, der auch den Nobelpreis bekam, in dessen Werk sich nicht eine einzige Zeile findet, die so dicht ist, dass sie die Realität übersteigt. Die Sprache von Günter Grass ist so, wie ich sagte. Sie vervielfältigt die Realität und inszeniert diese so, dass der Eindruck entsteht, man wäre im Kino und sähe den Film, der die Summe der Geschichte enthält. Die Summe der Geschichte, die von Günter Grass und von anderen zum Lesevergnügen gemacht wird, ist allerdings nichts im Vergleich zu dem, was Samuel Beckett dem Leser schenkt. Samuel Beckett schenkt dem Leser die Schöpfung, die er selber erlebte, weil er sich so der Sprache verschrieb, das sie ihn in ihr Innerstes führte. 


Die deutschen Schriftsteller konnten nie in das Innere gehen, in das Innere dieser Sprache, die einen solchen Reichtum besitzt, dass man sie immer bewundert. Der Reichtum der deutschen Sprache ist jedoch nicht so, dass er die Dinge erscheinen lässt, sondern er verhilft den Sachen dazu, sich so zu zeigen, dass man sie so erlebt, als wären sie etwas Ganzes. Der Reichtum der deutschen Sprache ist kein wirklicher Reichtum, sondern einer, der zählt, der aufzählt und jede Kleinigkeit in eine grosse Sache verwandelt, dass man meinen könnte, im Kleinen, im Detail stecke das Grosse, das Übergrosse und das, was jedem verborgen bleibt. 


Ich kann jetzt nicht alle erwähnen, aber einige muss ich erwähnen, damit man sieht, wovon ich überhaupt spreche. Ich spreche natürlich von dem, was man zum Markenzeichen der deutschen Literatur erklärte. Die deutsche Literatur, sagt man, zeichne sich dadurch aus, dass sie so genau und präzise beschreiben kann wie kaum eine andere Sprache. Doch die Genauigkeit ist keine Frage der Wörter, der Summe der Wörter, die man verwendet, sondern sie ist eine Sache des Worts, jedes einzelnen Worts, der Schichten, die jedes Wort hat und die dieser, der schreibt, sichtbar macht oder nicht. 


Die deutsche Sprache wurde von Luther, wie ich schon sagte, in eine einzige Schicht gebracht, in diese des Denkens und Glaubens. Im Denken und Glauben blieb die deutsche Geschichte seither, und jeder, der deutsch spricht, glaubt immer noch an die Stärke des Denkens, weil er keine andere Stärke kennt. Die Stärke des Denkens kann logischerweise nicht die einzige Stärke sein, denn hinter dem Denken ist der Geist, der stärker als dieses ist, weil er nicht an den Körper gebunden ist.

Doch schon wieder haben wir ein Problem, denn diese, die sprechen, sprechen einmal von Denken und einmal von Geist und dann noch von diesem Bewusstsein, das ebenfalls in diesem Topf ist, den man mit dem Wort Wissen umschreibt. Es liegt doch eigentlich auf der Hand, dass es ein Denkwissen gibt und dass dieses nichts anderes ist als die Summe dieser Erfahrung, die der Körper in sich besitzt. Dass die Erfahrung nicht alles ist, wissen wir ganz genau, ja, wir wissen nur allzu genau, dass die Erfahrung ihr Wissen vom Vergangenen holt und dass wir mit diesem Wissen nicht weiterkommen. Wir wissen, dass die Erfahrung nicht alles weiss, und trotzdem wollen wir in ihr bleiben. 

Wir wollen in der Erfahrung bleiben und halten uns an ihr fest, weil sie das einzige Sichere für uns ist. Das Denken ist sicher, glauben wir wenigstens, und da es uns Sicherheit gibt, weigern wir uns, aus ihm herauszugehen. Wir werden vom Denken in dieses Ende geführt, von dem ich gesprochen habe, und trotzdem können wir nicht den Sprung aus ihm heraus machen, den Sprung in den Geist.


Die deutsche Dichtung war einmal im Geist, was dazu geführt hat, dass dieses Lied entstand, das man als Nibelungenlied kennt und das man lesen muss, um einen Eindruck zu bekommen, was die deutsche Sprache eigentlich kann. Die deutsche Sprache konnte immer viel mehr, als diese mit ihr gemacht haben, die man als grosse Autoren verehrt. Ob man von Goethe spricht oder von Schiller oder von Thomas Mann, immer wieder verweist man darauf, wie ihnen die Sprache gehorchte, wie ihre Sprachbeherrschung gewesen war. Aber niemand sagt etwas davon, dass der Dichter nur so schreiben darf, dass sich die Sprache entspricht, dass sie sich selber entspricht und dass sie nicht nachspricht, was jener, der schreibt, denkt und will. Niemand sagt etwas davon, dass der Dichter der Sprache gehorchen muss und dass er der Sprache nicht vorschreiben darf, was sie ihm gibt. Niemand sagt etwas von dem, was man zum Dichten benötigt, nämlich den Anfang, nichts sonst. 

Der schwierige Anfang war immer ein Thema, seit es die Dichtung gibt, denn jeder, der schrieb, wusste, dass ihm die Sprache nur dann gehorcht, wenn er sich von seiner Erfahrung trennt, wenn er loslässt, was er schon kennt. So schwierig es ist, sich von seiner Erfahrung zu trennen, so schwierig ist es natürlich, sich so der Sprache zu geben, dass man sie wachsen lässt. Die wachsende Sprache ist etwas ganz anderes als die Sprache, die wie ein Werkzeug verwendet wird. Ein Werkzeug ist ein Mittel. Etwas, das wächst, ist jedoch ein Wesen, ein seinshaftes Wesen, was wiederum heisst, dass es, sobald man es zwingt, in eine Richtung zwingt, sein Wesen verliert. Im Wesen ist eine eigene Richtung enthalten, und jedes Wesen ist so, dass es sich selber sein muss, um sein Ziel zu erreichen. 


Ich will jetzt nicht weiter machen mit dem, was eher die Philosophen beschäftigt und weniger diese Dichter, die schreibend ins Innere kommen wollen, ins Innere dieses Seins, aus dem sich das Dasein ergibt. Das Dasein ergibt sich nicht aus dem Denken, sondern nur aus dem Sein, was jedoch nicht allen klar war, die dem Sein auf die Spur kommen wollten. Der Denker, der die deutsche Sprache ins Wirre, ins nicht mehr Nachzuvollziehende brachte, war jener, der sich der Bewegung anschloss, die nichts mehr so liess, wie es war. 

Es gibt, ich kann es nicht anders sagen, einen Faden von Luther zu diesem, den man heute noch achtet und wertschätzt und der eine eigene Sprache erfand, um seinem Denken den Stempel zu geben. Martin Heidegger konnte seine Philosophie nur in einem System etablieren, denn die Sprache, die wächst, die wachsend entsteht, wird von keinem System angenommen. Die Sprache, die wächst, wächst in eine Struktur, aber wenn sich eine Struktur einem System unterwirft, dann stösst sie so an die Grenzen, dass sie sich selber verliert. Das System, in dem Martin Heidegger lebte, eine Zeit seines Lebens verbrachte, und mit dem er sich identifizierte, war jenes Zerstörungssystem, in dem die schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte wahr gemacht worden waren. 


Die schlimmsten Verbrechen wurden im Denken geboren, im Denken, das sich von allem frei gemacht hatte, was zum Menschsein und zum Natursein gehört. Martin Heidegger war kein Verbrecher, nein, er war dieser Denker, der den Verbrechern die Sprache gab. Die Sprache war immer entscheidend. Seit Luther entschied sie darüber, wie die deutsche Geschichte gestaltet wurde, die immer, bis heute, eine Herrschaftsgeschichte war. 
Dass die deutsche Geschichte eine Herrschaftsgeschichte war, wollen viele mit dem Hinweis entkräften, dass die Geschichte von allen Völkern eine Herrschaftsgeschichte war. Wahr ist jedoch, dass sämtliche Völker von Herrschern beherrscht worden sind, aber dass sämtliche Völker eine Sprache bewahren konnten, die Widerstand leisten konnte und die den Herrschern diese Extreme unmöglich machte, die das Schicksal der Deutschen bestimmte.


Schicksalhaft war es tatsächlich, was diese ins Wahnsinnswerk setzten, die sich Nationalsozialisten nannten. Die Sprache ist Schicksal, denn sie entscheidet viel mehr, als man meint. Die deutsche Sprache wirkte sich aus, weil sie das Denken verabsolutierte und weil sie den Glauben zum Dogma machte. Die deutsche Sprache wurde von Luther zum Missionieren missbraucht, zum Bekehren der Deutschen, die an alles Mögliche glaubten, aber vor allem an das, was die katholische Kirche sagte. Die katholische Kirche war in den Augen von Luther ein schlechtes System, und er wollte es durch ein gutes System ersetzen. 
Er setzte sich hin und übersetzte die Texte der Kirche in seine eigene Sprache, in diese Sprache, die möglichst viele verstanden. Sein Ehrgeiz war es, eine Einheitssprache zu schaffen, eine Sprache, die alle zu Gläubigen machte, zu Gläubigen dieses Systems, das sich seinem Denken verdankte. Luther war ohne Zweifel ein scharfer Denker, aber er dachte so viel, dass ihm jene Dimensionen entglitten, die ihm eigentlich nahe standen. Die Dimension des Seins war in seiner Zeit die Dimension des Gottes, der jenseits von allem war, jenseits von dem, was wirklich und welthaft war. 

Jenseits von dem, was das Denken von Luther erkannte, war kein Weg mehr vorhanden, kein Weg, den irgendjemand beschreiten konnte, sondern dort gab es nur noch den Glauben, den Jenseitsglauben, der aber nicht irgendwas glauben durfte, sondern der ebenfalls ein System war, ein systematischer Glaube. Weil der katholische Jenseitsglaube sehr vieles erlaubte, auch das, was im Jenseits nicht möglich war, wollte Luther aufräumen, mit allem aufräumen, was der Sprache so gut getan hat, dass sie einfacher wurde.

Die Sprache wurde tatsächlich einfach, sie wurde eindimensional, sie wurde süffig, könnte man heute sagen, denn sie erklärte die Sachen so, dass jeder wusste, woran er war. Die Einheitssprache erzeugte ein Einheitsversprechen, und weil jedes Einheitsversprechen eine Realität erschafft, die - ich will es so formulieren - entschlossen ist, alles in sich zu schliessen, bekam die deutsche Geschichte diese Dynamik, die ihr zum Verhängnis wurde. 


Selbstverständlich könnte man sagen, dass die Entscheidungen, die getroffen wurden, nicht von allen getroffen wurden. Aber Entscheidungen werden nicht nur getroffen, sondern sie müssen getragen werden, denn solange sie nicht getragen werden, ist es unmöglich, dass sie umgesetzt werden. Die Entscheidungen, die das Schlimmste bewirkten, wurden vom Volk getragen, und wenn jemand dies heute bestreitet, dann erkennt er nicht, dass es eine Sprache gegeben hat, eine Einheitssprache, die jedem geläufig war.


Doch der Essay, der jetzt entsteht, will keine Geschichtsstunde sein und auch nicht erklären, weshalb sich die deutsche Realität zur schrecklichen Realität verkehrte, sondern er will jenes Missverständnis erklären, das die deutsche Sprache zu Sprache der Dichter macht. Die deutsche Sprache war immer die Sprache der Denker, aber nicht dieser, die philosophierten. Sie war auch nicht die Sprache der Dichter, sondern dieser, die schrieben, die die Realität beschrieben. Sie könnte eine Sprache der Dichter und Philosophen sein, wenn sie sich frei machen würde, frei vom Denken, das sie gefangen hält. Doch dies kann nicht einfach geschehen, denn diese, die schreiben, bewegen sich seit ihrer Kindheit in dieser Sprache, die ihnen gehört. Wie sollte sich jemand lösen von dem, was ihm gehört? Wie sollte jemand seine gewohnte Sprache verlassen, um in eine andere, ganz andere Sprache zu gehen? Wie sollte jemand vom Gewissen ins Ungewisse, vom Bekannten ins Unbekannte gehen, wenn er sich doch wohl fühlt in dem, was er hat?

Ich würde auch nicht so handeln, wenn irgendwo in mir nicht etwas wäre, das im Widerstand ist zu diesem System, das als Einheitssystem die Sprache bestimmt, das Denken bestimmt, alles bestimmt, was ist. Irgendwo in mir ist dieser Widerstand, von dem ich nicht weiss, woher er kommt, von dem ich aber ganz sicher bin, dass er nicht nur mit mir zu tun hat, sondern mit dem Sprung, der passiert. Der Sprung, von dem ich jetzt spreche, ist keine hypothetische Sache, sondern eine Sache, die nachprüfbar ist.

Es gibt keine Entwicklung ohne den Rhythmus, der den Fluss so bewegt, dass er nach vorne geht. Der Rhythmus ist, wenn man so will, der Motor der Geschichte oder, anders gesagt, er macht die Geschichte zur Wirklichkeit, die sich dauernd verwirklicht und die sich dauernd selbst überholt. 
Der Rhythmus ist also nicht irgendetwas, sondern etwas so Entscheidendes, dass nichts ohne ihn geht. Alles ist Rhythmus, alles wird von einem Rhythmus bestimmt, alles kommt zu sich selbst, wenn es einen Rhythmus besitzt. Es gibt weder den Tag, noch die Nacht, weder die Sonne, noch die Planeten, weder den Kosmos, noch alles, was in ihm ist, weder das Sein, noch das Dasein, wenn kein Rhythmus die Sprache entfalten würde, die Wirklichkeitssprache, die alles umfasst. 

Der Rhythmus ist immer vorhanden, weil er der Atem von allem ist, weil er sich sozusagen von innen nach aussen bringt und von aussen nach innen holt, was konsequenterweise bedeutet, dass sich die Zeit in einem Rhythmus befindet. Der Rhythmus der Zeit ist aber natürlich nicht dieser, der den Stunden und den Minuten entspricht, denn diese sind ein System, ein Zeitsystem, das von uns geschaffen wurde. Ein System kann kein Rhythmus sein, denn der Rhythmus ist immer lebendig. Alles Systematische kommt von uns, und alles Rhythmische kommt von dem, was man als Herz bezeichnet, als Herz der Schöpfung, die natürlich entsteht. 


Selbstverständlich kann ich jetzt nur Worte benützen, die es schon gibt, denn es gibt kein Wort für das Herz der Schöpfung. Dass die Schöpfung ein Herz hat, versteht sich von selbst, denn jedes Wachstum wird vom Herz angetrieben. Wir wissen, was der Stillstand des Herzens bewirkt. Er bewirkt diesen Tod, den wir alle so fürchten, weil wir nicht wissen, ob er endgültig ist. 

Der endgültige Tod wäre der Tod von allem, denn es gibt keinen einzelnen Tod, sondern nur diesen Tod, der etwas in etwas anderes bringt. Der Tod ist kein wirklicher Tod, sondern ein Punkt, ein Wendepunkt in diesem Text, der weiter und weiter geht. Wir werden vom Tod in diesen Satz geworfen, der nach unserem Leben kommt. Nach unserem Leben werden wir nicht mehr leben, denn es gibt kein Leben im Sein. Sobald man dies sagt, werden Ängste geweckt, denn der Glaube, der in uns ist, sagt uns, dass das Leben das Einzige ist, was es gibt. Das Leben ist das Einzige in der Zeit, aber niemand kann sagen, dass die Zeit das Einzige ist, denn es gibt ja den Rhythmus, was wiederum heisst, dass es zwei Seiten gibt. 

Das Herz hat zwei Kammern, weil es das Blut nur pumpen, nur ein- und auspumpen kann, wenn es sich füllt und leert, und dieser Vorgang benötigt zwei Hälften. Jeder weiss auch, dass es einen Grundrhythmus gibt, einen Herzrhythmus, der immer gleich bleibt. Wenn wir nun vom Herzen ausgehen, dann sehen wir gleich, dass das Sein und das Dasein zwei Hälften sind und dass sie genauso funktionieren wie dieses und dass sie sich dauernd tauschen oder, anders gesagt, dass sie tauschen, was in ihnen ist. 


Wir wissen, dass sich im Dasein die Zeit befindet, und wenn wir logisch vorgehen, wissen wir auch, dass dem Sein die Zeitlosigkeit gehört. Wir wissen also viel mehr, als wir meinen. Nur eines wissen wir nicht: Wir wissen nicht, wie sich die Zeitlosigkeit anfühlt, wie wir in ihr sind. Wir können dies auch nicht wissen, denn die Zeitlosigkeit ist anders, ganz anders als die Zeit, in der wir jetzt sind. Die Zeitlosigkeit muss aber etwas besitzen, das gleich ist, denn es gibt ja das Herz und dieses pumpt das, was es gibt, von einer Hälfte zur andern. 
Sobald man dies sagt, sagt man natürlich, dass die Substanz, die beide Hälften besitzen, die gleiche ist, denn es wäre unlogisch, wenn in jeder Hälfte etwas vollständig anderes wäre. Doch sobald man dies sieht, stellt man sich nicht nur die Frage, was die Substanz denn ist, sondern auch diese Frage: Wie verstärkt man diese Substanz? Die erste Frage ist einfach, denn es liegt auf der Hand, dass die Substanz Energie ist und dass sich diese verwandelt, genauso wie sich das Blut verwandelt. 


Dass die Eucharistie eine Anlehnung an diesen Vorgang ist, liegt ebenfalls auf der Hand, aber der Anspruch, den sie besitzt, ist - wie kann ich es formulieren? - eine Ungeheuerlichkeit, eine ungeheure Verwechslung, denn ein Mensch ist immer ein Mensch und kein Mensch kann behaupten, dass er das Sein in das Dasein verwandelt. 

Ein eucharistischer Vorgang ist immer ein Wahnvorgang, ein Vorgang, der der Hybris des Menschen entspringt. So weit können nur Menschen gehen, die sich selber vergessen, die das Sein, das sie haben, vergessen. Sich selber zum Herzen machen, ist wahrlich blasphemisch. Und jeder, der glaubt und glaubt, dass die Schöpfung ein Satz ist, der von einem Menschen gesprochen wird, verkehrt die Sprache ins Gegenteil. Die Sprache kann weder zaubern, noch Wunder vollbringen. Nein, sie entspricht oder sie erzeugt eine Lüge, und wenn sie eine Lüge erzeugt, dann richtet sie Schaden an. Die Eucharistie-Lüge wirkte sich so aus, dass sich die ganze Kultur verirrte, im Wahn verirrte, sie könne das Dasein verwandeln und ihm die Erlösung geben, die es sonst nicht bekommt.

Wir sind noch immer in diesem Wahn, ja, wir sind noch immer im Wahn, die Erlösung, die uns geschenkt worden ist, der ganzen Welt weiterzugeben. Wir waren erfolgreich mit dem was die Eucharistie enthielt. Wir konnten den Satz in alles einbauen und alles verwandeln, was war. Wir konnten den Satz zum Imperativ für alle machen, die sich dafür einsetzten, dass sich die Erde verwandelt und dass es uns besser geht. 
Uns geht es inzwischen schon so gut, dass jedes Wort in jedem andern vorkommt und dass die Einfachheit, die Luther anstrebte, nun endlich alles gleich macht. 


Alles ist wie im Winter, in dem die Erde die Farben verliert und in dem es diesen schlecht geht, die nicht nur kein Feuer haben, sondern auch nicht das Brot und den Wein, der ihren Körper vor allem schützt. Doch die Eucharistie war jetzt nur ein Nebensatz, um in diesen Hauptsatz zu kommen, um den es eigentlich geht. Es geht um den Satz, den die deutsche Sprache verloren hat, weil sie sich selbst verlor. Es geht um den Satz, dass das Denken der Sprache gehört und nicht die Sprache dem Denken. 

Wenn wir irgendwann soweit kommen, dass sich die deutschen Schriftsteller nicht mehr zum Werkzeug des Denkens machen, sondern zu Dienern der Sprache, zu Dichtern, die hören, was in der Sprache geschieht, dann werden wir auch erleben, dass die deutsche Geschichte in eine andere Richtung geht. 


Die deutsche Geschichte war, wie ich schon sagte, eine Herrschafts-geschichte, eine vom Willen bestimmte Geschichte, das Dasein so in den Griff zu bekommen, dass es ganz anders wird. Ganz anders wurde es wirklich, denn die Feuer, die brannten, verbrannten die Söhne und Töchter und brannten ihnen das Zeichen des Sterns ein, des sechszackigen Sterns, der nicht nur im Himmel ist, sondern der auch der Anfang bedeutet, der mit Celan begann. 
Es gab den Dichter, der die deutsche Sprache gerettet hat. Er war kein Deutscher, sondern einer, der immer weit weg war, weit weg vom Zentrum, in dem die Schriftsteller schreiben, immer noch schreiben wie damals, als die deutsche Sprache ihre Worte verlor und zur Sprache des Unmenschen wurde. 
Ich will jetzt gleich richtig stellen, damit es keine Missverständnisse gibt: Ich würde nie sagen, dass es einen deutschen Schriftsteller gibt, der sich schuldig macht und seine Sprache nur anpasst an die Verhältnisse, die es gibt. Nein, die deutschen Schriftsteller sind verantwortungsvolle Schriftsteller, sie haben von dem gelernt, was in ihrer Geschichte passierte. Aber sie haben noch nicht gelernt, dass es beim Schreiben nur darum geht, die Substanz der Sprache konkret zu machen und alles dafür zu tun, dass die Sprache entspricht, dass sie sich selber entspricht. 


Ich würde nicht schreiben, wenn die Sätze, die Luther geschrieben hat, endgültige Sätze wären. Aber ich kann schreiben, weil es Celan gegeben hat, weil es vor ihm Kafka gegeben hat, weil es einige gab, von denen ich weiss, dass sie am Anfang gewesen waren. Wer einmal am Anfang war, kann nicht mehr zum Ende gehen, um dort erfolgreich zu sein, wo sich die Denker befinden. Die Denker vermitteln ihr Wissen in diesem Betrieb, der zum Kulturbetrieb wurde. Sobald die Zeit aber anders wird, ändert sich auch der Betrieb. 

Der Sprung, von dem ich gesprochen habe, ändert die Zeit,
den Rhythmus der Zeit, was wiederum heisst, dass sich das, was die Zeit beinhaltet, verändert. Der Sprung geschieht deshalb, weil ein Rhythmus ein Auf und Ab ist, ein nach oben und unten Gehen, ein ständiger Wechsel, ein wechselndes Weiterkommen in das, was wir noch nicht kennen und was es noch nicht gibt. 
Was wir noch nicht kennen, kommt jetzt, in diesem Moment. Wir können sehen, wohin es geht, wenn wir dem Rhythmus gehorchen, wenn wir der Sprache entsprechen, der Struktur der Sprache und nicht dem System, das uns das Denken aufoktroyiert und in dem wir uns nicht erkennen. Der Sprung, in dem wir jetzt sind, ist jedoch nicht nur ein rhythmischer Sprung, sondern auch ein farbiger Sprung. Dass die Energie eine Farbe besitzt, ist klar, denn Energie ist Frequenz und jede Frequenz ist farbig. Weil jede Farbe ein Teil des Farbkreises ist, kann man sagen, dass die Entwicklung eine Spirale ist, die von einem Kreis zum anderen geht. Eine Farbspirale kommt immer wieder dort an, wo sie den Sprung machen muss, den Sprung von einer Ebene in die nächste. 

Selbstverständlich weiss man jetzt nicht, weshalb sich die Zeit spiralisch entwickelt, aber nachdem wir ins Herz hinein gingen, ins Herz dieser Schöpfung, die sichtbar und unsichtbar ist, sehen wir auch, dass die Spirale die erste Form ist, die Urform, könnte man sagen, weil die Energie nur von einem Punkt zum anderen kommt, wenn sie sich sozusagen erweitert, wenn sie sich weiter macht, wenn sie den Kreis, der in ihr angelegt ist, nicht schliesst, sondern dauernd so öffnet, dass er weiter und weiter geht. 
Die Energie kennt keine Statik, sondern nur die Dynamik, denn die Energie ist, wenn man sie wörtlich nimmt, die Substanz, die sich wachsend entwickelt oder, anders gesagt, die Substanz, die ins Unendliche geht, weil sie sich dauernd öffnet. Die Spirale ist diese Form, die den Anfang in sich verwirklicht, ja, sie ist diese Form, die nicht nur am Anfang ist, sondern die dauernd konkret macht, was Anfang bedeutet.


Die Formen, die man als Grundformen bezeichnet, also der Kreis, das Dreieck und das Quadrat, entstehen aus der Spirale, denn die Spirale, die sich enwickelt, macht sich  zum Netz, zum Netzwerk, in dem es eine Grundregel gibt, nämlich diese, dass das Einfache einfach bleibt, weil wenn das Einfache kompliziert wird, kann sich die Schöpfung nicht mehr bewahren. 
Das Einfache ist immer das Erste, und wenn man das Erste betrachtet, dann kommt man von selber darauf, dass das Erste die Drei sein muss, denn es muss alles enthalten. Das Erste muss alles in dieser Weise enthalten, dass es der Schöpfung gelingt, alles aus ihm zu holen. Wenn sich die Schöpfung nicht auf das Erste abstützen könnte, wäre sie nicht imstande, sich selber den Kosmos zu geben und ihn so zu entwickeln, dass alles in ihm möglich und nichts unmöglich ist. 


Die Schöpfung ist keine Erfindung, sondern eine sich selber gestaltende Wirklichkeit. Ich will damit sagen, dass sich die Schöpfung ereignet, im Wortsinn ereignet, und dass das Ereignis der Schöpfung nicht stattfinden könnte, wenn es das Erste nicht gäbe. 
Das Erste ist immer das Wissen, denn wenn es kein Wissen gäbe, könnte kein Werk entstehen. Das Schöpfungswerk ist das Ergebnis des Wissens, das das Sein in sich hat. Das Ereignis, das ich erwähnte, könnte nicht weiter bestehen, wenn das Wissen nicht dauern würde, wenn es nicht so sein würde, dass es anhält und anhält und nicht vergeht. Das Wissen, das dauert, ordnet sich ganz von selbst oder, anders gesagt, es konzentriert sich in dieser Weise, dass es eine Struktur bekommt. 
Eine Struktur wird von Zahlen gebildet, von Zahlen, die nach allen Seiten hin offen sind und die keine Werte beinhalten, sondern nur Anfang, nichts sonst. Zahlen sind Werte, wenn man sie steuert, wenn man eine bestimmte Richtung in sie hinein legt. Wenn man die Zahlen aber nicht manipuliert, sondern sie einfach so lässt, wie sie sind, dann wachsen sie automatisch in jede Richtung, in jede erdenkliche und nicht denkbare Richtung, denn dann sind sie der Grund, aus dem alles entsteht. 


Der Grund der Schöpfung sind also die Zahlen, nicht irgendwelche Zahlen natürlich, sondern die Eins und die Zwei und die Drei. Die Eins ist das Wissen, die Zwei ist die Dauer und die Drei ist die Ordnung, und jeder, der rechnet, weiss nun, dass sich das dauernde Wissen der Ordnung kosmisch verwirklicht, ja, dass das Ereignis der Schöpfung ein wissendes, dauerndes Ordnungsereignis ist.
Der Grund wäre aber kein Grund, wenn er nur Zahlen beinhalten würde, nur eine Struktur, sondern er kann nur ein Grund sein, ein gründender Grund, wenn er alles beinhaltet, alles, was wichtig und wesentlich ist.

Wichtig und wesentlich ist es, dass sich die Schöpfung entfaltet, im Wortsinn entfaltet, was jedoch nur möglich ist, wenn das Dasein die Schönheit bekommt, die zeitliche Schönheit, die anders als diese ist, die die Zeitlosigkeit hat. Die zeitlose Schönheit ist, ich will es so sagen, die Schönheit des Wissens an sich. Die Schönheit der Zeit ist keine andere Schönheit, aber sie verlängert, könnte man sagen, die Schönheit des Seins, und verdichtet diese in einer Weise, dass das Spektrum erscheint, das Schönheitsspektrum, das sämtliche Farben und Klänge enthält. 
Sobald man dies hört, stellt man die Frage, worin denn der Sinn der Schönheit besteht. Es gibt darauf nur die Antwort: Der Sinn der Schöpfung liegt in der Schönheit, in der Entfaltung der Schönheit, die nicht nur sichtbar macht, was unsichtbar ist, sondern auch wahrnehmbar macht, was innen, im Sein, in dem ist, was zum Wort Seele gehört. 

Ich weiss, ich brauche jetzt Worte, die der Romantik gehören und vor denen man Angst hat, wenn man sie braucht. Wenn man vom Herz spricht, ist man schon dort, wo die Sprache nur Klischee ist, und wenn man die Seele erwähnt, kommt man in die Gefahr, von dieser Sehnsucht zu sprechen, die unerfüllt bleibt. Weil ich keine Klischees benütze, will ich die Worte erklären, denn wenn ich schon einfach sein will, kann ich es mir nicht leisten, Worte ins Abseits zu stellen, Worte, die notwendig sind und die ich noch brauche. Ich will jedes Wort brauchen, weil in jedem Wort etwas steckt, etwas von dem, was zum Verständnis der Schöpfung notwendig ist.  

Es ist für mich keine Alternative, der Sprache die Worte zu nehmen, um sie mit anderen Worten zu füllen, denn die einzelnen Worte sind wichtig, und wenn man sie weglässt, lässt man immer auch einen Inhalt weg. Die einzelnen Worte sind unerlässlich, weil jedes Wort wachsend entstand, weil jedes Wort so entstand, dass es dem Sinn einen Körper gab.

Unser Körper kann auch nicht beliebig beschnitten und anders zusammengesetzt werden, und sobald wir dies tun, wird irgendetwas gestört, so grundlegend gestört, dass sich die Schönheit nicht mehr entfalten kann. Die scheinbare Schönheit, die man kauft und verkauft, ist immer nur ein Ersatz, ein Ersatz für die verlorene Schönheit, die glücklich macht. Die Seele ist immer glücklich, und jeder, der seine Seele erlebt, erlebt etwas von seinem Glück. 

Ich weiss, jetzt bin ich schon wieder dort, wo die Romantik mit allem, was sie bedeutet, in meine Nähe kommt. Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn ich in die Romantik abrutschen würde, denn der Tiefpunkt, den die Romantik darstellt, kommt für mich nicht in Frage. 
Die Romantik war eine deutsche Erfindung. Ja, sie war eine Erfindung, die der Eindimensionalität eine scheinbare Tiefe gab. Die scheinbare Tiefe der Romantik ist jedoch nur Kitsch, kitschige Wortuntiefe, die man lange verklärte und sogar so erklärte, dass sie wichtig geworden war. Wichtig war die Romantik deshalb, weil sie der Sehnsucht die Sprache gab, der Sehnsucht nach dem, was fehlte, was in der deutschen Sprache nicht mehr vorhanden war. 

Wenn in einer Sprache alles vorhanden ist, dann schreiben die Dichter nicht so, wie die Romantiker schrieben, sondern dann schreiben sie so wie jene, die alles zur Sprache bringen, auch das, was innen, in dem ist, was man als Seele bezeichnet. 
Wer weiss, was Sprache bedeutet, weiss auch, dass sie Klarheit verschafft, dass sie keine Nebelmaschine ist und dass sie sich nie des Schleiers bedient, der Verschleierung dieser Dinge, die sie nicht fassen kann. 
Die Sprache entschleiert, enthüllt und verhindert, dass die Sicht, die es gibt, verschwindet und jene Hoffnungen aufkommen lässt, die sich dem Da des Daseins entgegen stellen. Die deutsche Sprache ist in der Romantik noch ärmer geworden, denn die Seele, die sie eigentlich finden sollte, wurde von ihr in ein Phantombild gegossen, was jedoch nur dazu führte, dass die Sehnsucht noch grösser wurde. 


Die romantische Sehnsucht wurde von Wagner benutzt, um gewaltige Szenen zu schaffen, von denen man heute noch glaubt, dass sie Abbilder von dem sind, was sich in der Seele ereignet. Die Seelenorgien, die der deutscheste aller Komponisten jenen schenkte, die wie er daran glaubten, dass es eine deutsche Seele, eine den Deutschen vorbehaltene Seele gibt, war im Nationalsozilismus ein Gott, denn mit seiner Musik konnte man Kriege gewinnen. 
So deutsch wie Wagner war keiner. Nein, niemand war so pathetisch, dass er die deutsche Seele zum Inbild der Seele machte. Die Sehnsuchtsseele der Deutschen war vielen zu viel. Viele wollten sie aber auch über alle anderen Seelen stülpen, über die Seelen, die es irgendwo gab. 


Natürlich war dies ein Angriff, ein Gewaltakt gegen die Schöpfung, die eine Seele besitzt, eine einzige Seele und nicht jene Seele, die die Deutschen erfanden, um sich selber so gross zu machen, dass niemand an ihnen vorbeikommen konnte. Niemand kam im letzten Jahrhundert an den Deutschen vorbei, weil die Entscheidungen, die die Deutschen getroffen hatten, alle betrafen. Ich meine jetzt nicht nur die Entscheidungen, die die Nationalsozialisten getroffen hatten, sondern auch diese, die nach dem Endsieg getroffen wurden.

Die Deutschen machten zwar viel, um sich von der Schuld zu befreien. Ihre Trauerarbeit war ehrlich, aber sie sahen sich nicht als Täter, sondern als Opfer, weil sie verführt worden waren. Sie sprachen sich frei von der Schuld, indem sie sehr viel besprachen, indem sie dachten und dachten und so viel nachdachten, dass es schlussendlich so aussah, als wäre ihnen die Seele genommen worden. 
Natürlich wussten die Deutschen nicht, wohin sie die Sprache führte, die seelenlos war, die ihre Wörter leer gemacht hatte und sie mit Inhalten füllte, die jedem Verbrechen die Grundlage gaben. Natürlich waren die Deutschen schuldig und gleichzeitig nicht schuldig, weil sie die Sprache bekommen hatten und weil ihre Vorfahren auch schon die gleiche Sprache gesprochen hatten. 


Wie wäre es aber gewesen, wenn man nach dem entsetzlichen Drama, das die deutsche Geschichte zur tragischsten aller Geschichten machte, nicht nur nachgedacht hätte, sondern die Entscheidung getroffen hätte, nicht mehr den gleichen Weg, sondern einen anderen Weg zu gehen? Es wäre ganz einfach gewesen, denn es gibt keinen besseren Augenblick als das Ende, um jenen Anfang zu machen, der nicht mehr ans Ende führt. 
Selbstverständlich ist es mir klar, dass sich vieles dem Anfang entgegenstellte, denn das Denken war immer noch gleich und deshalb suchte man einen Ausweg und nicht einen anderen Weg. Die Realtität war allerdings so, dass man nicht darüber hinweg sehen konnte, dass der eingeschlagene Weg ein Irrweg, ein Wahnweg war, und dass dieser nicht korrigiert werden konnte. Es war offensichtlich, dass der Irrweg keinen Weg offen liess, der sich sozusagen unter anderen Vorzeichen in die gleiche Richtung bewegte, sondern dass eine Entscheidung notwendig war, die alles ganz anders machte. 


Die Entscheidung, von der ich jetzt spreche, wäre so einfach gewesen, denn es wäre nur darum gegangen, ehrlich, ganz ehrlich zu sein. Es wäre nur darum gegangen, sich den Tatsachen so zu stellen, dass jener Widerstand erwacht wäre, der die Dinge grundlegend verändert hätte. Die Entscheidung zur Ehrlichkeit, zur unbedingten Ehrlichkeit hätte vieles möglich gemacht, ja, sie hätte es sogar möglich gemacht, dass sich die deutsche Sprache von ihrem schwierigen Erbe befreit und dass sie ihre Seele zurückgewonnen hätte. 
Die Entscheidung, von der ich jetzt spreche, lag in der Luft. Ja, es gab viele, die sagten: Nun müssen wir einen Sprung und nicht nur einen Schritt machen. Wir müssen den Sprung von der Realtät in diese Wirklichkeit machen, die alles umfasst, die sowohl die Sachen umfasst, als auch diese Dinge, die diese Wahrnehmung erzeugen, die die Eindimensionalität verschwinden lässt. 


So sprach zum Beispeil Karl Jaspers, dessen Philosophie die Existenz so erklärt, dass keine Seite verloren geht. Karl Jaspers konnte sehen und nicht nur denken, ja, er sah, dass sich ein Staat nur sinnvoll und vernünftig gestalten lässt, wenn sich sein System auf die Struktur der Schöpfung abstützt, die immer im Gleichgewicht ist. Er sah, dass der Staat ein System braucht, aber dass dieses System nicht als Gegennatur funktionieren darf, sondern nur als Verlängerung sozusagen, als Verlängerung dessen, was die Natur beinhaltet. Er sah, dass das Elementare entscheidend ist und dass das Elementare die Grundlage von jedem System sein muss. 


Es gab Menschen, - Philosophen, Intellektuelle, Wissenschaftler, solche, die im Dritten Reich kein Schuld auf sich luden, die dieses Schreckenssytem überlebten, ohne ihm irgendwie willfährig gewesen zu sein, die weise und weitsichtig waren und die der deutschen Geschichte einen Anfang und nicht die Fortsetzung hätten geben können. Doch es kam anders. Diese, die weitermachen wollten, setzten sich durch, und der Erfolg, der wirtschaftliche Erfolg gab ihnen Recht. Die deutsche Geschichte ging weiter, und man konnte wieder stolz sein auf sie, obwohl es den Einschnitt gegeben hatte, der ihr zu schaffen gemacht hat.
Die deutsche Geschichte überlebte die schwerste Krise, und dies machte und macht sie in den Augen von vielen noch grösser. Es ist in der Tat verrückt, dass die Eindimensionalität den Sieg davon trug, obwohl sie alles zerstörte und jene Düsternis wahr werden liess, die keinen Vergleich kennt und die vorher diese der Hölle war. 


Die zeitliche, menschliche Hölle, die Tatsache wurde, weil man sich von den Dingen trennte und weil die Sprache das Sein verliess und nur noch das Dasein besprach, wird irgendeinmal verschwinden, aber erst dann, wenn sich die Sprache erneurt hat oder, besser gesagt, wenn die Dichtung wieder Bestandteil der Sprache sein wird, denn die Dichtung, nur sie, kann der Realität die Wirklichkeit geben. 
Die Dichtung ist, wie ich schon sagte, nicht eine sprachliche Form und nicht eine literarische Gattung, sondern - so könnte man sie definieren - die Sprache, die spricht und entspricht, die Sprache, die alles miteinander verknüpft und die die Schöpfung erzählt, nicht nur etwas von dem, was von uns gemacht wird in ihr. Die Dichtung ist immer eine Schöpfungsgeschichte, und ihre Inhalte sind immer diese, die die Existenz mit sich bringt. 


Die Existenz, die für Jaspers ihre Wahrheit von der Transzendenz bekommt und die sich erst in der Grenzsituation selber erkennt, ist der Raum, den die Schöpfung erfüllt. Die Schöpfung erfüllt den Existenzraum aber nur dann, wenn sie sich selber wird, was wiederum heisst, dass sie der Existenz ihre Sprache gibt. 
Die Sprache der Existenz ist also nicht diese, die Sartre ihr gab und von der er behauptet hat, dass sie nichts anderes ist als eine Absurdität, in der jene Willkür herrscht, die nur durch die Herrschaft jener gerechtfertigt wird, die sich der Existenz widersetzen. 
Sartre war ein die Existenz verkürzender Philosoph, und Jaspers war ein die Existenz verlängernder Philosoph. Der Dritte, Heidegger, den ich erwähnte, verklärte die Existenz und machte aus ihr einen Ort, der ek-sistiert, der heraussteht, also nicht in in sich steht. 

Die Ek-sistenz, die im Denken des späten Heidegger eine entscheidende Rolle spielte, war keine Klärung, sondern eine Verklärung, denn sie ist kein Dasein, kein seiendes Da, sondern ein vom Sein erleuchtetes Existieren. Im Verständnis von Heidegger ist die Existenz ein Sein im Sein, ein Sein, das heraussteht und das deshalb in seiner Lichtung steht. 
Wenn man Heidegger liest, dann staunt man immer und immer wieder, wie er die Sprache verwendet und wie er Erkenntnis aus ihr heraus holt. Aber nach einiger Zeit kommt man ihm auf die Schliche, denn sobald man mit seinen eigenen Worten philosophiert, wird einem klar, dass er eigentlich nur inszeniert, dass er Erkenntnis in Szene setzt, aber nicht wirklich entwickelt. Sobald man seine Begriffe durchleuchtet, versteht man, dass er wie ein Artist philosophiert, wie dieser, der über ein Seil geht, um den Zuschauern zu zeigen, wie er sich zwischen oben und unten bewegt. 
Wenn man die Sprache von Heidegger analysiert, kommt man dahinter, dass sie die Eindimensionalität nicht verlässt, sondern ihr einfach den Schein der Bedeutung gibt. Die Existenz wird von Heidegger nicht erhellt, sondern so interpretiert, dass es sie eigentlich gar nicht gibt. Eine Existenz, die nur heraussteht, aber nicht in sich steht, ist eine Erfindung, eine Vorstellung, aber nicht mehr.


Ich habe mich nicht verirrt. Ich wollte nur zeigen, dass die deutsche Sprache ihre Eindimensionalität behalten hat und dass sie diese sogar so verstärkte, dass ein Denkwerk entstehen konnte, das weder Hände noch Füsse hat, sondern nur einen Kopf, der heraussteht, aus allem heraussteht und der die Schöpfung deshalb nicht in sich hineinnehmen kann. 
Einige schrieben anders. Einige schrieben so, dass sich die Existenz überschlug, dass nichts mehr am Ort blieb und dass alles ins Wanken kam. Es gab und es gibt sehr viele Schriftsteller, die schreibend die Existenz erörtern, aber ich kenne keinen Autor, der die Existenz so erzählt, dass sie zum Kosmos wird, zur kosmischen Wirklichkeit in der Wirklichkeit dieser Schöpfung, die von allem zu allem geht und die trotzdem so einfach ist, dass sie steht, einfach in sich steht, im Wesen, das ihr gehört.

Wenn ich vom Wesen der Schöpfung spreche, dann meine ich natürlich das Elementare und das, was das Elementare bewirkt. Wenn man erkennt, dass das Elementare die Verwandlung bewirkt, dann erkennt man auch, dass die Sprache erst dann entspricht, wenn sich in jedem Wort etwas öffnet, das anders als das ist, was es schon gab. 
Die Sprache entspricht erst dann, wenn sie sich selber verwandelt, wenn jedes einzelne Wort den Status quo übersteigt und den Raum, den es gibt, aufmacht und ihn in einen neuen Horizont hinein bringt. 
Die Sprache entspricht erst dann, wenn sie so existenziell wird, dass sie sich selbst transzendiert, oder, anders gesagt, wenn sie so erzählt, dass das Erzählte in keinem Widerspruch ist, aber im Widerstand gegen die Sprache, die sich der Realtität verschreibt und die deshalb die Existenz nicht begreift. 


Die deutsche Literatur ist heute nicht anders als gestern. Nein, sie ist immer noch gleich. Sie ist immer noch eine Sachliteratur, obwohl die Dingwelt in vielen Büchern ein Thema ist. In den Büchern von Handke zum Beispiel ist die Dingwelt ein Thema, das alles durchzieht. Ich würde von Peter Handke behaupten, dass er, seit er schreibt, von den Dingen besessen ist, aber dass er sie so beschreibt, dass er sie nicht erreicht. Er erreicht sie aus dem einfachen Grund nicht, weil ihm sein Ich im Weg steht. Sein Ich verbaut ihm buchstäblich die Dingwelt, die sich so durch sein Werk hindurch zieht, dass sie anwesend und gleichzeitig anwesend ist. Die anwesende Abwesenheit der Dingwelt macht seine Sprache so spannend, dass es ein wahres Vergnügen ist, sie zu lesen. Doch wenn wenn man sie liest, dann stösst man ununterbrochen an ihre Grenzen, weil immer ein Ich da ist, das die Sätze so setzt, dass sie in Übereinstimmung sind mit dem, was es sieht.
Peter Handkes Sprache ist so, dass sie übereinstimmt. Ja, sie stimmt mit dem überein, was es gibt. Aber sie entspricht nicht, weil sie ununterbrochen nach dem richtigen Wort sucht. Das Suchen ist ein Bestandteil der Sprache von Peter Handke, und weil sie sucht, findet sie manchmal, und wenn sie findet, ist es ein Glück. 


Das Glück, von dem ich jetzt spreche, ist selten in der deutschen Literatur, und deshalb ist Peter Handke ein Dichter, einer der wenigen deutsch schreibenden Dichter. Das Schicksal, das er mit allen anderen deutschen Schriftstellern teilt, ist sein Ich. Ich will sagen, dass die deutsche Literatur eine Ich-Literatur ist und dass die Ich-Literatur eine erdachte Literatur ist, eine erfundene Literatur. Dass die Spracherfindungen interessant sein können, ist keine Frage, aber sie sind eben nie so, dass sie identisch mit dem sind, was sie erzählen. Identisch mit etwas kann die Sprache erst sein, wenn es kein Ich gibt, das diktiert und vorschreibt und sich wichtig macht und sich irgendwie manifestieren will. Doch genau dies ist immer der Fall, ob man die Erwähnten liest oder Hesse oder Frisch oder Dürrenmatt oder Bernhard oder Martin Walser oder Jelinek oder Herta Müller oder... 


Ich könnte und müsste jetzt alle aufzählen, fast alle, denn fast alle deutschen, deutsch schreibenden Autoren kreisten und kreisen um ihr eigenes Ich, um ihr Zentrum, das aber nichts mit dem Zentrum zu tun hat, das die Sprache besitzt. 
Deshalb ist Widerstand angesagt, Widerstand gegen die Sprache, die beschreibt, einfach beschreibt, was sich im Ich-Kreis befindet, und die die Spirale nicht öffnet, weil sie sucht und nicht findet. 


Hua Hin, 17./24. Februar 2011

15.02.11

9 - Wir waren im Schnee

Sea, Gulf of Thailand, Cha Am, 2011

Wir wollen nach vorne kommen, nach vorne, dorthin, wo die sichtbare Seite der Welt alles enthält, alles, was wir uns wünschen, alles, was wir uns erträumen und als bildhafte Welt vorstellen, als Bilderwelt, die der Schöpfung der Rang abläuft. Die Schöpfung war für uns immer ein Zufall, ein Zufallsergebnis, weil die Entwicklung, die sie hinter sich hat, ebenso gut anders, ganz anders hätte sein können. Die Schöpfung war für uns immer etwas, das kein Konzept hat und das deshalb verbesserungswürdig ist. 

Sea, Gulf of Thailand, Cha Am, 2011
Erst wollten wir sie verbessern, indem wir ins Jenseits gingen und diese Götter erfanden, die die Schöpfung in ihren Händen hielten, auch wenn sie ihnen immer wieder entglitt. Dann erfanden wir einen Gott, der nicht mehr im Wettbewerb stand und der sich der Schöpfung annehmen konnte, ohne dass er ständig gestört und von andern verunsichert wurde. Doch da sich der Gott der Engel bedienen musste, um seine Herrschaft zu sichern, konnte es nicht ausbleiben, dass sich einer von ihnen gegen alles auflehnte, was ins Werk gesetzt wurde.
Er sah, dass der Gott sein eigenes Bild konkret machen wollte, sein paradiesisches Bild, und er dachte, dass dieses nicht vollständig sei, wenn es nur das Gute enthalten würde. Er dachte, es müsse doch etwas geben, das dem Guten zuwiderläuft und das im Widerspruch steht zu ihm.
Er sagte dem Gott: Ich widerspreche der Schöpfung, die du erschaffst, weil ich vom Gegenteil überzeugt bin, vom Gegenteil dessen, was du erschaffst. 
Was ist denn das Gegenteil? - fragte der Gott. 
Und der Engel gab ihm zur Antwort: Eine Schöpfung, die sich selber erschafft und in der es keine Vorgaben gibt, sondern nur die Freiheit, sich selber zu sein. Er sah, dass sich der Gott Gedanken darüber machte, und deshalb nutzte er den Moment und fügte seiner Antwort hinzu: Wenn ich dir behilflich sein kann, deiner Schöpfung Spannung zu geben, will ich dies gerne tun. 

Er sah, dass der Gott noch immer nachdachte, was ihm weder gefiel, noch missfiel, was ihn aber auf den Gedanken brachte, der Schöpfung, die Gott erschuf, eine Gegenschöpfung zu geben. Er sagte dem Gott: Nach reiflicher Überlegung will ich nicht mehr mit dir arbeiten, sondern selbstständig sein. Die Selbstständigkeit versetzt mich in deine Lage, denn sobald ich selbstständig bin, verselbstständigt sich meine eigene Schöpfung.

Sea, Gulf of Thailand, Cha Am, 2011
Der Gott, der nachgedacht hatte, entgegnete nun: Es sollte dir klar sein, dass deine Schöpfung nicht an meine Schöpfung heranreichen kann, denn du bist und bleibst ja ein Engel. Ich weiss, sagte der Engel schnell, aber deine Schöpfung ist ja von uns abhängig und ohne uns gibt es sie nicht. Ohne uns wäre deine Schöpfung nur eine Idee, was konsequenterweise bedeutet, dass die Schöpfung, die ich erschaffe, ebenso schön sein wird. Sicher, sagte der Gott, deine Schöpfung wird ebenso schön sein, aber nicht ebenso reich, denn der Reichtum kommt von der Idee, und da du keine Idee hast, sondern nur nachahmen kannst, was ich in die Wege geleitet habe, verlierst du auf jeden Fall.


Sea, Gulf of Thailand, Cha Am, 2011
Der Engel dachte jetzt selber nach, und weil er den Sätzen, die Gott sprach, nicht widersprechen konnte, sagte er schliesslich: Sei doch nicht so und verschliesse mir deinen Reichtum! Du könntest doch deine Idee an mich weitergeben, und wenn ich sie habe, würde ich dafür sorgen, dass du dauernd erwähnt wirst, in jeder Schöpfung, die ich erschaffe. Sobald du ja sagst, beginne ich mit dem Entwurf, und weil ich jede Schöpfung entwerfen werde, bevor ich sie konkret mache, wird kein Würfel darüber entscheiden, wie sie aussehen wird. Deine Schöpfung war ja ein Wurf, und weil jeder Wurf ein Risiko ist, will ich sicher gehen und der Gefahr ausweichen, dass eine Schöpfung fehlerhaft ist. 
Die Fehler in deiner Schöpfung können vernachlässigt werden, aber der Ehrgeiz, den ich besitze, ist grösser. Ich will, dass jede Schöpfung vollkommen ist. Ja, ich will den Reichtum deiner Schöpfung so übertreffen.


Sea, Gulf of Thailand, Cha Am, 2011
Der staunende Gott war im Himmel, in seinem eigenen Himmel, und er schaute sich um und versicherte sich, ob alles in Ordnung sei. Er warf einen Blick in Richtung des Engels, der sich so in seine Ecke verkroch, dass er kaum sichtbar war. Er dachte, dass das Entwerfen eine Ecke benötigt und sagte dem Engel: Sobald du den ersten Entwurf hast, zeige ihn mir. Man lernt ja nie aus. 
Der Engel entwarf und entwarf, und irgendeinmal sagte er schliesslich, dass das Entwerfen sehr schwierig sei, viel schwieriger als das Werfen. 
So, sagte der Gott, aber du sagtest ja, dass das Entwerfen viel sicherer ist und deshalb ist es vernünftig, wenn du dir Zeit dafür nimmst. 
Der Engel entwarf, und während er eine Schöpfung entwarf, warf der Gott so viele Schöpfungen aus sich heraus, dass der Engel nicht nachkam zu schauen, und weil er nur schaute und schaute, blieb sein Entwurf ein Entwurf. 


Sea, Gulf of Thailand, Cha Am, 2011
Der Engel verlor irgendeinmal die Nerven und warf dem Gott den Entwurf vor die Füsse. Doch dieser verwarf den Entwurf, weil er so viele Fehler enthielt, dass er nicht akzeptiert werden konnte. Der Engel war wütend, weil jeder Entwurf misslang, weil jeder Entwurf verworfen wurde und ihn so aussehen liess, als könne er nicht gestalten. 
Der Engel wurde jetzt schwarz, so schwarz wie die Nacht, und weil er jetzt schwarz war, verwarf er den Tag und achtete nicht mehr darauf, ob sich das, was er machte, bei Licht betrachtet, bewährte. Er setzte sich über alles hinweg, was logisch gewesen war, und weil er unlogische Sachen machte, nahm ihn der Gott ins Gebet. Dieser sagte dem Engel: Wenn du so weitermachst, wirfst du die Schöpfung aus ihrer Ordnung. Doch der Engel wollte nicht hören und machte weiter mit seinem Spiel. 


Sea, Gulf of Thailand, Cha Am, 2011
Ich will dich nicht aus dem Himmel werfen, sagte der Gott zu ihm, aber wenn du so weitermachst, öffne ich dieses Fenster, damit du die Schöpfung siehst. Der Engel interessierte sich nicht für die Schöpfung und kehrte dem Gott den Rücken. Doch dieser war schneller und setzte sich so in die Ecke, dass der Engel nicht mehr in sie gehen konnte. 
Der Engel warf sich zu Boden, und man hätte jetzt meinen können, dass er sich dem Gott unterwirft. Doch der Gott war kein Gott, der die Unterwürfigkeit schätzte, und deshalb sagte er seinem Engel: Ich wollte dir eigentlich sagen, dass du deinen Entwurf verwirklichen kannst und dass du keine Angst haben musst, dass ich dich irgendwie bremse. 


Sea, Gulf of Thailand, Cha Am, 2011
Vor lauter Freude nahm der Engel die Hand seines Gottes und schüttelte diese so lange, bis sie sich schwarz verfärbte. Ein schwarzhändiger Gott ist kein Gott mehr, sagte der Gott und zog den Engel in sein Vertrauen. Er sagte dem Engel: Ein Engel ist eigentlich auch ein Gott, und weil du so schwarz bist, schüttle ich dir die Hand, damit du den Schnee bekommst, den ich bis jetzt hatte. 
Der Engel war wieder begeistert, und weil er begeistert war, nahm er nicht etwas vom Schnee, sondern allen Schnee, den der Gott hatte. Das Schwarz, das der Engel besass, verlor sich vollständig, und es schneite nun so, dass sich der Engel wünschte, dass sich die Sonne erbarmt. Die Sonne erbarmte sich schon, aber sie erbarmte sich nicht als Sonne, sondern als Feuer, das alles verbrannte. Die Sonne erbarmte sich so, dass der Engel den Gott anflehte, aufzuhören damit, seinen Schnee zunichte zu machen, denn was bliebe ihm noch, wenn er seinen Körper verlöre und nur noch Wasser wäre, das fliesst. 


Doch der Gott erbarmte sich nicht, sondern er schickte die Sonne in jede Ecke, in jede verteufelte Ecke, weil in jeder Ecke einer entwarf, irgendetwas entwarf, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, wie Werke entstehen und was sie von einem verlangen. Werke sind so, wie sie sind, weil sie von diesen geschaffen wurden, die wussten, was Schöpfung bedeutet, oder von diesen, die entwarfen und nur entwarfen und deshalb verbauten, was war. 


Sea, Gulf of Thailand, Cha Am, 2011
Die Schöpfung ist immer ein Wurf, ein einmaliger Wurf, und jeder, der wirft, weiss genau, dass es ein Risiko ist, das grösste Risiko, das es gibt, den eigenen Schnee ins Feuer zu werfen, damit es fliesst, einfach fliesst, damit sich die Schöpfung ereignet, die alles mit allem vereint. 
Es gab diesen Dichter, der den Würfelwurf schrieb und der den Entwurf, den er machte, ins Wörtliche brachte, ins wörtliche Sagen, das er im gleichen Moment so einfach und so vielschichtig machte, dass es alles enthielt, alles, was wir von Gott und den Engeln wussten, alles, was wir im Wahn und im Glauben besassen, alles, was wir als Kunst verstanden und ins Künstliche brachten, alles, was Bild war und bildlos geworden war. 


Wenn ich diesen Dichter erwähne, dann deshalb, weil er es fertig brachte, der Sprache die Schöpfung zu geben, was, ich kann es nicht anders sagen, nur selten, ganz selten geschieht. Nur selten entsteht diese Sprache, die keine Willkür besitzt, sondern die so genau ist, dass sich jedes Wort so vertieft, dass es zum Kosmos, zum kosmischen Ganzen wird. 
Wir waren im Schnee, und weil wir im Schnee ertranken, vergassen wir einfach, was war, was in uns vorhanden war. Was in uns vorhanden war, wusste der Dichter, der schrieb, einfach schrieb, ohne darauf zu achten, ob das, was er schrieb, irgendjemand verstand.
Un coup de dés* ist kein Werk, das von vielen gelesen wird, aber es ist ein Werk, das wirkt und nachwirkt und einen Einfluss besitzt, der nicht aufhört und viele zum Fliessen bringt. 


* Un coup de dés jamais n'abolira le hasard (1897)
Hua Hin, 15.02.2011