23.01.11

3 - Wild ist die Zeit

White Sea, Gulf of Thailand, Hua Hin 2011
Jede Sicht, die man hat, ist eine subjektive, eine eingeschränkte und relative, und wenn man sich dessen bewusst ist, dann sucht man mit allen Mitteln, seine Sicht zu erweitern und sie zur Allgemeinsicht zu machen. Doch die Subjektivität der Sicht kann nicht allgemein und weniger subjektiv gemacht werden, indem man so viele Sichten wie möglich in seine Sicht integriert, denn die Subjektivität wird nicht weniger subjektiv, wenn man ihr noch mehr Subjektivität hinzufügt. Es ist ein gängiger Irrtum, dass viel immer mehr ist als wenig, aber sobald man erkennt, dass das Elementare nicht elementarer wird, wenn man viel Elementares zusammenfügt, muss man sich eingestehen, dass Erkenntnis etwas ganz anderes ist.
 
White Sea, Gulf of Thailand, Hua Hin 2011
Eine Sicht wird nie zur Erkenntnis, auch wenn man sie mit vielen anderen Sichten ergänzt, denn eine Erkenntnis kommt nur zustande, wenn man die Sicht, die man hat, verlässt. Selbstverständlich kann man jetzt sagen, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, sich der eigenen Sicht zu entledigen, weil man immer ein Subjekt bleibt, ja, weil man immer sich selber bleibt. Man bleibt immer sich selber, und deshalb ist der Versuch, die Dinge zu sehen, ohne sie zur Ansicht zu machen, vergeblich. Vielleicht ist die Erkenntnis, dass es gar keine Erkenntnis gibt, die einzige Erkenntnis, die der Wahrheit entspricht, und weil Wahrheit ohnehin ein Wort ist, das sich erübrigt, weil es gar keine Wahrheit gibt, ist es am besten, an den Anfang der Sprache zu gehen.

Man kommt immer zum gleichen Ergebnis, wenn man die Sprache so braucht, wie man sie eben braucht. Man kommt immer zu diesem Ergebnis, das man schon kennt und das den Sichten entspricht, die unserer Allgemeinsicht entsprechen.

Ich weiss, dass die Sprache nicht einfach an ihren Anfang gebracht werden kann, weil zur Sprache die Sichten gehören und weil es eine sichtlose Sprache eigentlich gar nicht gibt. Doch sobald man sieht, dass die Sicht der Sprache nicht eine subjektive Sicht ist, sondern eine vielschichtige Sicht, ein komplexe Sicht, eine Sicht, die natürlich gewachsen ist und die alle Sichten vereint, dann erkennt man auch, dass die Sicht, die die Sprache besitzt, eine im wahrsten Sinn zutreffende Sicht ist, eine Sicht, die trifft, was sie beobachtet.
 


White Sea, Gulf of Thailand, Hua Hin 2011
Die Sprache beobachtet tatsächlich, und weil sie beobachtet, was ist, kann sie erzählen, und weil sie erzählen kann, versteht sie etwas von dem, was sie sieht. Die Sprache versteht die Sachen, weil sie sie erzählen kann. Und die Sprache versteht die Dinge, weil sie sich von ihnen ableitet. Die Sprache ist nicht nur Zeit, sondern auch Zeitlosigkeit, und in jedem Wort ist beides enthalten, vorausgesetzt allerdings, dass sich die Realität nicht über die Worte stellt.

Die Realität stellt sich immer über die Worte, wenn ihr kein Wort entgegengesetzt wird, kein Widerstandswort, kein Entlarvungswort, kein Wort, das erzählt, was sie eigentlich ist. Sobald die Realität Worte bekommt, die nicht an sie angepasst sind, kommt sie ins Schleudern oder, besser gesagt, dann kommt sie aus ihrem Konzept.
Sobald die Realität ihr Konzept verliert, zeigt sie sich so, wie sie ist. Ohne Konzept ist die Realität ein Desaster, ein wahres Desaster, denn dann erscheint sie als eine Sicht. Die Realität ist in Wahrheit nur eine Sicht, und weil sie eine konkrete Sicht ist, verursacht sie jene Nachhaltigkeit, an der alle, die nach uns kommen, zu leiden haben.

 

Black Sea, Gulf of Thailand, Hua Hin 2011
Alle, die nach uns kommen, werden die Frage stellen: Wie kam es soweit, dass sich die subjektive Sicht so durchsetzen konnte, dass sie die Realität bestimmte und dass sie diese so machen konnte, dass keine Wirklichkeit mehr bestand? Selbstverständlich wird man dann nicht danach forschen, was wann in der Geschichte passierte, sondern man wird danach forschen, was wann in der Struktur des Menschen passierte, was wann so passierte, dass die Entscheidungen nicht mehr vom Geist, sondern vom Denken getroffen wurden.

Das Denken ist irgendeinmal so mächtig geworden, dass es den Geist überrannte. Es erstarkte so sehr, dass es sich selber so sah, als könne es alles erreichen und als wüsste es alles, was ist. Alles, was ist, wurde ins Denken genommen und vom Denken zur Sache gemacht, zur Ansichtssache, von der man behaupten konnte, dass sie die einzige Sache sei. Das Denken erstarkte deshalb, weil sich das Gehirn des Menschen entwickelt hatte. Wir wachsen, wie alles, in Schritten und Sprüngen dorthin, wo wir die Schönheit erreichen, die in uns angelegt ist.

Natürlich ist unsere Schönheit ganz anders als diese der Pflanzen und Tiere, aber es gibt ein Prinzip, ein Naturgesetz sozusagen, und dieses sollte man nicht missachten, denn sobald man sich über es hinwegsetzt, verliert man die eigene Schönheit.


Black Sea, Gulf of Thailand, Hua Hin 2011
Die eigene Schönheit haben wir Menschen schon lange verloren, weil wir vom Ganzen in die Subjektivität hinein gingen, weil wir die Entscheidung getroffen hatten, denkend die Welt zu beherrschen. Die Beherrschung haben wir längst verloren, denn die Künstlichkeit, die wir schufen, ist wie eine Strafe, die wir nicht loswerden können. Wir können jetzt nicht mehr zurück. Wir werden von dem, was wir schufen, so verunstaltet, dass es uns schlimmer geht als dem Teufel.

Den Teufel erfanden wir damals, als das Denken den Sieg errang und als es irgendwas brauchte, um den Spalt, der entstand, zu füllen.
Da sich das Denken vom Geist abtrennte, suchte es einen Ersatz und es fand ihn in Gott und dem Teufel, in die es alles das projizierte, was ihm wie ein Wunder oder wie eine Schuld vorkam. Das Denken erfand diesen Himmel, in dem sich der Gott entschied, eine Schöpfung entstehen zu lassen, und im gleichen Atemzug erfand es die Hölle, um dem eigenen Kampf diesen Spiegel zu geben, der ihn ins Recht setzte.

Jetzt holte ich aus, um den Sinn der Sprache ins Zentrum zu holen, denn die Sprache sagt ganz genau, was wahr ist und was nur erfunden. Sobald die Sprache Dinge erzählt, die gar nicht erzählt werden können, ist sie nicht auf dem Holzweg, aber auf einem falschen Weg. Sie irrt nicht, die Sprache, aber sie bebildert die Dinge so, dass man den Eindruck bekommt, so sei es tatsächlich in dieser Welt, die in unsere Wahrnehmung kommt.
Wahrnehmen heisst im Wortsinn wahr nehmen, - wahr nehmen, was ist. Aber seit sich das Denken entschloss, alles an sich zu reissen, ist die Wahrnehmung auch getrennt worden, weil es die geistige und die sinnliche Wahrnehmung gibt. Weil wir nur noch sinnlich wahrnehmen, können wir nicht mehr erkennen, was logischerweise zur Folge hat, dass sich die Subjektivität zur Objektivität machen muss. 

Das Desaster, von dem ich gesprochen habe, kommt von der Subjektivität, ja, das subjektive Desaster ist inzwischen so gross, dass sich sogar die Realität gegen es wehrt. Doch sie wehrt sich natürlich mit falschen Massnahmen, denn das Desaster wird mit Konzepten, mit einem Regelwerk von Gesetzen, nicht kleiner gemacht, sondern grösser. 

Wild ist die Zeit, in der wir inzwischen leben, aber da sich das Denken erschöpft, wird die Zeit wieder sanft, so sanft, dass nichts mehr verloren geht.


Hua Hin, 23.01.2011

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