20.01.11

2 - Wir waren im Boot

Mangrove Klong, Pranburi, 2011
Nachdem sich die Erde entschloss, alles ins Wasser zu holen, sagten sich alle Tiere, nun müssen wir wieder wie damals als schwimmende Wesen leben und nur noch ins Innere tauchen, anstatt nach aussen zu gehen. Aber es gab noch die Menschen, und diese suchten wie immer irgendein Schlupfloch, um sich nicht an die Erde zu halten, sondern an das, was in ihrer Vorstellung war. Was in der Vorstellung der Menschen war, ist kein Geheimnis, denn es sah jetzt lange so aus, wie sich die Menschen es wünschten. Jeder Wunsch wurde zu einer Realität, vor der man nur fliehen konnte, indem man sich eine Vorstellung machte, indem man sich wünschte, dass es anders sei, als es war.
Wünsche sind selber schon Realitäten, und jeder, der wünscht, der irgendwas wünscht, erschafft eine Welt, in der sich die Sachen behaupten. Wer wünscht, erschafft eine Welt, in der die Dinge keine Rolle mehr spielen, denn die Dinge sind jenseits vom Denken und die Wünsche werden vom Denken gemacht. 


Weil die Erde so unvernünftig gewesen war, die Dinge ins Spiel zu bringen und von den Dingen her zu entscheiden, konnten die Menschen nicht anders, als sachlich zu bleiben und sich zum Anwalt der Sachen zu machen. Im Namen der Sachen, sagten sie schliesslich, müssen wir anders handeln, anders als die Erde es tut. 
So entstand die Erde über der Erde, ja, so entstand diese Erde, die es dann gab. Die Erde der Menschen interessierte sich nur für die tatsächliche Erde, weil sie keine Ressourcen besass, was aber verständlich war, denn Ressourcen sind das Ergebnis der Dauer. Irgendeinmal wird die Erde der Menschen auch soweit sein, dass sie Ressourcen besitzt, aber so lange es nicht soweit ist, so lange braucht die Erde der Menschen die Erde und so lange muss man sich arrangieren. Man muss sich natürlich nur arrangieren, weil man im Vorteil ist, weil man die Sachen besitzt, was jedoch nicht heisst, dass die Dinge unwichtig sind.


Mangrove Klong, Pranburi, 2011
Die Dinge sind wichtig, aber nur dort, wo das Denken nicht ausreicht, wo es seine Grenzen erreicht. Da die Grenzen des Denkens allmählich verschwinden, verschwinden die Dinge von selbst. Es ist also nicht nötig, im Kampf gegen die Dinge seine Kraft zu verschwenden, denn das Denken schliesst alles ein. Das Denken schliesst sogar ein, dass sich die Sehnsucht an Dinge hält, die es nicht gibt, denn der Spielraum des Denkens ist gross, viel grösser als alles, was man sonst kennt. 
Was ist denn sonst in der Lage, sich über alles hinwegzusetzen und in phantastische Welten vorzustossen, die weiter und unbegrenzter als alles sind, was man sonst kennt? Was man sonst kennt, ist - ich will es so sagen - Ehrfurcht erregend und sogar so, dass man zum Gläubigen werden könnte. Aber als Gläubiger weiss man nicht mehr, in welchen Sphären wir uns bewegen und wie weit wir gekommen sind. Wir kamen so weit, dass sich die Sachen selbstständig machten. Und wir waren sogar schon dort, wo die Sprache nicht mehr eine Vielzahl von Sprachen umfasste, sondern eine einzige war.


Pranburi River, Pile Dwellings, 2011
Eigentlich sah es so aus, als müsse nur noch ein Schritt gemacht werden, um anzukommen, um an dieses Ziel zu kommen, von dem wir während Jahrtausenden träumten und von dem wir nie wussten, ob wir es je erreichen. Wir waren am Ziel, praktisch am Ziel, als alles mit einem Schlag nicht mehr vorhanden war, als alles ins Leere lief, weil alles vom Wasser verschluckt worden war. 
Wir wussten, jetzt ist es vorbei. Wir wussten, jetzt können wir nur noch hoffen, dass etwas erhalten bleibt, etwas von dem, was von uns geschaffen wurde. Wir waren natürlich unglücklich. Wir waren aber nicht wütend, weil die Dinge den Sieg davon trugen, denn wir waren noch immer sicher, dass sich die Erde durchsetzt, die wir im Sinn hatten. 
Was wir im Sinn hatten, war eine Revolution, und jede Revolution muss mit Rückschlägen rechnen. Im schlimmsten Fall müssen wir einige Jahre oder Jahrzehnte warten, bis wir neu anfangen können. Aber eine Revolution wird vom Wasser nicht aufgehalten, denn sie ist stärker als dieses. Eine Revolution wird vom Feuer gemacht, und wenn man weiss, was Feuer bedeutet, dann weiss man auch, dass es sich gegen alles durchsetzt. 

Pranburi River, Pile Dwellings, 2011
Alles wird irgendeinmal vom Feuer genommen und dorthin gebracht, wo es kein Wasser mehr gibt, sondern die Luft. Die Luft ist die Zukunft, sagten wir uns, weil in der Luft keine Platznot herrscht und weil jeder Wunsch in Erfüllung geht, wenn wir den Raum beherrschen, den Luftraum, der grenzenlos ist. 
Die Eroberung dieses Raums, der über und unter ist und den wir als Kosmos bezeichnen, war immer der Traum, der unser Leben bestimmte, und seit es uns gibt, waren wir immer damit beschäftigt, die Realität in den Traum zu verwandeln oder, anders gesagt, den Traum zur Realität zu machen. Wir konnten schon viel vom Traum in die Realität hinein holen, aber noch waren wir nicht soweit, den Durchbruch dorthin  zu schaffen, wo wir keine Schwere mehr hatten. Unser Körper war schwer, und unser Denken war leicht, so kam es uns jedenfalls vor, und deshalb suchten wir eine Lösung, den Körper zum Denken zu machen, was uns je länger je besser gelang. 

Reflectances, Mangrove Forest, Pranburi, 2011
Wir konnten den Körper nicht anders machen, aber wir konnten ihn so manipulieren, dass er sich kaum mehr bewegen musste, ja, dass er einfach nur ruhen konnte und keine Anstrengung mehr machen musste. Es ist uns schliesslich gelungen, den erwähnten Raum zu erobern und in ihm ein Netzwerk zu schaffen, das wie kein anderes war. Wie kein anderes Netzwerk wuchs unser Netzwerk ins All, in alles hinein, was es gab. Und im Netzwerk war es uns sogar möglich, den Sprung ins Unbekannte zu machen, ins Vorher und Nachher von dem, was in unserer Vorstellung war. 
Wir konnten jetzt endlich sehen, wie weit sich die Erde entfernt hat, von unserer Erde entfernt hat, was jedoch nicht nachteilig war, denn die Erde kam uns nicht entgegen, sondern sie verhinderte immer wieder, dass wir konkret machen konnten, was konkret werden wollte. 


Pranburi River, 2011
Jetzt war es wieder einmal so weit, dass sich die Erde nicht an unser Konzept anpasste, sondern einfach so tat, als wären wir nichts. Wir konzipierten einfach zu lange und wir erreichten einfach zu viel, um ins Abseits geschoben zu werden. Und uns kam es deshalb entgegen, dass etwas erhalten blieb. Im Netzwerk, von dem ich erzählte, ist irgendetwas gewachsen, was wir jetzt gebrauchen konnten. Wir konnten die Sprache gebrauchen, die jemand ins Netz gestellt hatte, um nach der Sintflut Sätze zu haben, mit denen man weiter kam. 
Wir lernten die Sprache auswendig und wussten schon bald so viel, dass es  uns möglich wurde, die Erde so zu gestalten, dass kein Widerspruch mehr entstand. Wir waren jetzt wieder im Boot, in dem sich das Ding und die Sache ergänzten, was in uns etwas bewegte, denn erstmals gelang es uns jetzt, die Schönheit der Schönheit zu sehen. Wir konnten jetzt so gestalten, dass alles zu allem passte. Und als wir sahen, dass sich die Erde im Wasser verwandelt, wussten wir wieder, weshalb es die Sintflut gab. 


Hua Hin, 20./21. Januar 2011



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