14.07.11

14 - NACH DER DIAGNOSE DAS URTEIL

Gestern, vor  genau 67 Jahren startete ich oder besser: stürzte ich, wie mir meine Mutter erzählte, ins Leben. Ich machte damals offenbar keine Anstalten und nahm mir nur einige Minuten, um mich diesem Ort zu geben, dieser Gegenwart, die für mich immer offen war, grenzenlos, unbeschreiblich.

Ich danke allen Freunden, Verwandten, Bekannten, die mich gestern besuchten und die mir wie auch immer nahe gewesen sind.


Vor 67 Jahren begann es. Begann dieses Leben, das mir nicht wie eine Reise, auch nicht wie ein Spaziergang und schon gar nicht wie eine Strapaze vorkam, sondern als Flug, als ein sich dauernd vervielfachender Flug in alle Dimensionen, in, hinter, vor alles. Ich flog.

Ich wurde geflogen. Etwas in mir flog mich, um es genau zu sagen, und das, was mich flog, war Kompass und Auge und wusste genau, wie und weshalb es mich mit dem, was im Da und im Sein war, verband. 


M. mit der ich lange so glücklich wie im Märchen zusammenlebte und mit der ich alles tauschte, so tauschte, dass alles zum Austausch wurde, zum nie abbrechenden Gespräch, das weiter und weiter ging, in jedem Moment, das nie etwas erfand, das nie ins Künstliche ging, diese Frau bat mich damals fast täglich: Stirb nicht! Stirb nicht vor mir! 
Ihre Bitte wunderte und amüsierte mich immer, und weil ich mich durchaus nicht als unsterblich empfand, aber weil ich das Gefühl einer sehr grossen Spannweite hatte, war es für mich nie ein Problem, ihrer Bitte mit dem Versprechen zu entsprechen. 

Sie wird es mir jetzt wohl nicht übel nehmen, dass ich mein Versprechen nicht einhalte, jedenfalls nicht ganz wörtlich, weil mich die Zeit nicht zur Unzeit, aber in einem nicht geplanten Moment vom Spielfeld nimmt. 


Ich war immer ein Mensch der Zahlen, der Zahlen und auch der Farben, und weil ich mich selber und das. was es gab, immer in der Logik und in der Ordnung der Zahlen und Farben erkannte, kann ich mich auch jetzt in der Zahl, die ich erreichte, entziffern. 
Es gibt in ihr die Sechs und die Sieben, die Quersumme Dreizehn. und diese wieder ergibt die Vier. In diesen Zahlen gibt es kein Ende. Es sind im Gegenteil Zahlen, die nicht nur die umfangreiche Dichtung enthalten, den Grossen Gesang, den ich gerne noch schreiben würde, sondern es sind die Zahlen einer in die äusserste Schönheit und in den mutigsten Aufbruch gehenden Schöpfungsgeschichte. 


Ja, noch bin ich Teil dieser Schöpfungsgeschichte. Noch trägt mich die Schöpfung und ihre Geschichte. 
Alles läuft jetzt sehr schnell und gemäss einer genauen Logik in Richtung Ende. Das Ende ist da, und bis zum Ende gibt es Etappen. Wenn ich in mich hinein schaue und auch in die Zahlen, dann sehe ich, wie ich schon sagte, kein Ende. 
Ich sehe kein Ende, sondern den Anfang, namlich die Sechs, in der sich die Eins und die Zwei und die Drei versammeln, also die elementaren Zahlen. Ich sehe die Sieben, also das Ziel, den Weg und das Ziel. Ich sehe die Dreizehn, diese Verwandlung, die dauert. Ich befinde mich im Zustand der Metamorphose. Und es kann, einmal mehr, kein Zufall sein, dass sich diese aus der Sprache begründet. In der Dreizehn ist das Wissen enthalten und, wie ich sagte, die Sprache. Und was wäre die Sprache ohne die Ordnung. Die Sprache, die sich zum Gespräch macht, zum nicht versiegenden Schöpfungsgespräch, zum alles begründenden, Anfangs- und Weltgespräch. 
Vom Du zum Du geht die Sprache, und sie fasst die Dinge und auch die Sachen in einem Fort ins Wir zusammen, in die Ganzheit,  die wir, weil wir keine Ahnung haben, immer noch nicht, keine Ahnung vom Elementaren der Zahlen und Farben, täglich und stündlich zerstören und die dennoch ganz bleibt, immer sich selbst.



Ich wurde mit allem verbunden mit der Sprache und dank der Sprache. Zur Sprache gibt es noch viel zu sagen. Die Sprache ist immer der Anfang. Jetzt gerade will ich nur sagen, dass es zum Wesen der Sprache gehört, dass sie sich aufmacht, dass sie sich einfach nur öffnet, in alle Himmelsrichtungen öffnet, dass sie ALLES aufmacht, erschliesst, entdeckt und beatmet. 






IN DER WIEGE DES STAUNENS

Alles ging und geht jetzt sehr schnell. Alles beschleunigt und
entschleunigt sich gleichzeitig in einer Weise, dass ich selber nur staune. 
Wieder einmal kann ich nur staunen. Ich staunte schon immer über das Vermögen der Zeit, über ihr Verwandlungsvermögen und über die akrobatischen Leistungen, die ihr ohne Aufwand und mit der grössten Leichtigkeit so gelingen, dass sich immer nur Neues ergibt. 


Die Zeit hat ihre Flügel inzwischen so ausgebreitet und so kräftig in den Raum geschlagen, dass sie mich mit einem einzigen Zug, mit einem einzigen Hauch überholte. Es kommt mir vor, als würde sie mit mir spielen, kindhaft und heiter spielen. Sie erscheint mir jetzt garade als Segel, das blendend, gleissend aus meinem Da ins Offene springt, in einen Kosmos hinein, in dem  sich die Winde, die Lichter, die Farben so tauschen, dass sich eine Geburt aus der anderen holt, dass eine Schöpfung die nächate und übernächste gleich überholt.


Mein Leben war immer ein Staunen. Was ich in einem sehr frühen Gedicht formulierte, war immer die Wahrnehmung, die ich hatte. Ich fühlte mich in meinem Leben immer wie in einer Wiege des Staunens. Ich war immer einer, der schaute und staunte, nur immer schaute und staunte. In alles hinein schaute, in jedes Ding und in jede Sache hineinschaute. Und der nie aufhören konnte zu staunen, darüber zu staunen, was es gibt, was sich ununterbrochen dauernd in allem und jedem verwandelnd entfaltet. Natürlich war mein Staunen nicht einfach ein naives und schon gar nicht ein gläubiges Staunen. Oft, nur allzu oft war mein Staunen auch ein Erschrecken, ein Entsetzen und ein Empören. 



Nach umfangreichen, eingehenden Abklärungen und Untersuchungen in den Spitälern Baden und Aarau die erste Operation. Vor einer Woche die zweite Operation, die ich wieder sehr gut überstand. Nach der Diagnose schliesslich

DAS URTEIL:

Glioblastom (medizinisch korrekt: Glioblastoma multiforme) ist der häufigste bösartige hirneigene Tumor bei Erwachsenen. Das Glioblastom weist feingewebliche Ähnlichkeiten mit den Gliazellen des Gehirns auf und wird aufgrund der sehr schlechten Prognose nach der WHO-Klassifikation der Tumoren des zentralen Nervensystems als Grad IV eingestuft. Die Behandlung besteht in operativer Reduktion der Tumormasse, Bestrahlung und Chemotherapie. Eine endgültige Heilung kann derzeit nicht erreicht werden. Die mittlere Überlebenszeit liegt in der Größenordnung von Monaten, manche Erkrankte überleben länger, nur wenige jedoch mehrere Jahre. Die Glioblastom-Zelllinie U87MG war die erste Krebszelllinie, deren Genom vollständig sequenziert wurde.



Eine Diagnose lässt in der Regel einen Spiel- und Interpretionsraum offen. Eine Diagnose beschreibt einen Sachverhalt, der sich so oder so entwickeln kann. Ein Urteil aber ist ein Urteil ist ein Urteil. Es ist klar. Es gibt kein Wenn und Aber.Das Urteil, das ich bekommen habe, kennt keine Instanz, die es anders oder ungültig machen könnte.

So  ist es, und so geht es weiter:

> Seit dem 10. und bis am 16. Juli halte ich mich wieder im Kantonsspital Aarau (Haus Nr. 4/2. Stock):
Ich bekomme tägliche kurze Bestrahlungsdosen. Ich halte mich die übrige Zeit auf dem Zimmer und vor allem schreibend und zeichnend im grossräumigen, schönen Krankenhauspark auf. Ich freue mich auf die Besuche und die Gespräche: 12.00-20.00 Uhr (Wegen der Zeiten und der Termine ist es gut, mir vorher zu telefonieren.)
Ich bin direkt erreichbar unter der Nummer: +41(0)62 838 79 40 oder, noch direkter, unter meiner Mobile-Nr. +41(0)76 332 19 44. Im Spital habe ich mein Laptop, und ich kann dort auch online sein und die Mails lesen und beantworten.


> Vom 17. bis am 24. Juli halte ich mich zu Hause in Gebenstorf und in meinem Atelier in Seon auf.
> Am 25. Juli findet die grosse Operation statt (operative Reduktion der Tumormasse). Danach: ca. 14 Tage Spitalaufenthalt. 

Danach: wahrscheinlich eine Zeitlang Reha.
Danach: Einige Monate Chemotherapie, während dieser Zeit auch noch die Augenoperationen und so weiter... 



Ich befinde mich in Aarau in einem Kompetenzzentrum und in den besten Händen. Und neben den Ärzten, dem Fachpersonal, den BetreuerInnen. den Maschinen und den Medikamenten gibt es meinen inneren Arzt, der zeit meines Lebens bei mir war und der mich immer geheilt und getragen hat.

> Und im übrigen geht es weiter und weiter... weiter im Text, in die Sprache, ins Bild... Besucht mich bitte auf meinem Blog, den ich regelmässig  und so gut ich kann weiter führe, gemäss meiner Kraft, und in den ich meine Sätze und Zeichen und Fotos gebe...

Ich freue mich auf eure Zeichen, und ich danke euch für eure Aufmerksamkeit. Ich wünsche euch allen das Allerbeste und die ganze Schönheit der Welt

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