25.07.11

15 - DIE VIELFACHBEHANDLUNG oder WARTEN OHNE ERWARTUNG



DIE BESTRAHLUNGSBEHANDLUNG

Die letzte Woche war meine Bestrahlungswoche, fast hätte ich gesagt meine Fukushima-Woche. Im labyrinthischen Underground des Spitals, in dem ich mich nicht ein einziges Mal orientieren konnte und mich wieder und wieder verlor, legte ich mich jeden Tag in der Früh und noch einmal gegen Abend nicht in einem verwunschenen oder geheimen Zimmer, aber in einem gut verschliessbaren und gesicherten Raum passgenau auf einen sehr schmalen Schragen. Passgenau musste es sein, das leuchtete mir selber auch ein, denn wenn ich einmal so und das andere Mal so liegen würde und wenn ich nicht ruhig, ganz ruhig sein würde, dann hätten die Strahlen nicht erfolgreich, sondern verheerend sein können. 

Ob die Bestrahlung erfolgreich war, weiss ich nicht, so erfolgreich, dass sie den Tumor so isolierte oder so umschloss, dass dieser seinerseits am nächsten Montag erfolgreich entfernt werden kann. 




Ich wurde, so war das Programm, also zwei Mal am Tag bestrahlt. Es gab im Voraus und auch dazwischen Gespräche, ich wurde vorbereitet und, so gut dies halt geht, in Kenntnis gesetzt. Von zwei Ärztinnen und einem Arzt wurde ich aufmerksam und sehr freundlich betreut. So betreut, dass es nicht nur auf beiden Seiten das gleiche Interesse gab, sondern dass es auch wirkliche Gespräche, Erkenntnisgespräche und auch noch das Lachen gab.



Ja, das Lachen ist mir noch nicht vergangen, wohl deshalb, weil das Lachen einfach zu mir gehört, weil zum Staunen, das ich im letzten Eintrag erwähnte, auch immer das Lachen gehörte. Ich lachte natürlich nicht, wenn ich mit der Spiderman-Maske so ruhig wie möglich lag. Aber filmreif und komisch war die Szene doch jedes Mal. Ich schloss jeweils die Augen und nahm nur wahr. Viel nahm ich nicht wahr. Und eigentlich wusste ich nicht, was mit mir geschah. 


Ohne Gewähr kann ich nur sagen, dass ich den Eindruck hatte, dass sich eine vielarmige, roboterhafte Maschine um mich herum drehte. Die Maschine drehte, aber sie verdrehte mich nicht, weil es um mich und in mir auch noch, tatsächlich, die Drehung, den Kreis und die Arme von Shiva gab. 




Ich hörte Geräusche, ein Zischen und Sirren und Schleifen. Es waren keine Strahlengeräusche, sondern gewöhnliche mechanische Geräusche. Die Geräusche kamen und gingen, sie kamen näher und entfernten sich wieder. Sie waren leiser und wieder lauter. Und sie kamen immer von einem anderen Ort im Raum. Eigentlich erlebte ich jedes Mal ein Konzert.






DIE EIGENBEHANDLUNG

Dem Strahlenkonzert setzte ich kontrapunktisch mein eigenes Konzert entgegen, um es gewissermassen auszugleichen und - ich weiss nicht, ob dies gelang -, heilsam zu machen. Sobald die Maschine begann, versetzte ich mich in eine meditative Trance. Und sobald ich dies tat, setzte sich, ausgehend von meinem Scheitel, ein Strömen in Gang, ein vibrierendes Strömen, das meinen ganzen Körper, von oben bis unten durchdrang. 




Natürlich habe ich nicht die geringste Ahnung, ob meine Eigenbestrahlung irgendwie wirkungsvoll war. Ich weiss nur, dass ich auf diese Weise die Bestrahlungszeiten nicht nur vollkommen angstfrei und locker erlebte, sondern dass ich mich in einem glücklichen, gar euphorischen Zustand befand. Und ich weiss auch, dass mir die immer gleich langen Bestrahlungszeiten jedes Mal kürzer vorkamen. 






DIE NACHBEHANDLUNG


Eine Woche zuvor wurde ich, wie ich schon sagte, nicht eingeweiht, aber aufgeklärt, so aufgeklärt, dass ich in groben, sehr groben und krassen Zügen nur ahnen und wissen konnte, was möglicherweise auf mich zukommen wird: Übelkeit, Schmerzen, Schwindel, Erschöpfung, Verwirrung, Depression, und sogar der Verlust der eigenen Mitte wurden mir perspektivisch in Aussicht gestellt. Ich hatte auch diesmal Glück: Die Schreckenskelche gingen, wenigstens zum grössten Teil, an mir vorbei. Es waren gerade vier Kelche, die ich bis jetzt (!) ausschlürfen oder, ich möchte fast sagen, ausbaden musste. 





DER ERSTE KELCH


Fortsetzung folgt...



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