08.02.11

6 - Wirklichkeit oder Realität

Es gibt eine Wirklichkeit, und es gibt eine Realität. Weil wir keinen Unterschied machen, wissen wir nicht, weshalb die Realität ein System ist, das schliesst, und weshalb die Wirklichkeit wirksam ist, auch wenn sich die Realität gegen sie stellt. Die Sprache entspricht. Ja, die Sprache entspricht immer der Schöpfung, die sich als Ganzheit entwickelt und nicht als Teil eines Teils eines Teils. Die Sprache entspricht der Schöpfung, weil sie die Schöpfung erschafft, weil sie der Schöpfung den Sprung ermöglicht, von der Wirklichkeit ins Konkrete zu gehen, in diese Konkretheit hinein, von der wir glauben, dass sie die einzige Sache sei. 


Die einzige Sache ist aber nicht diese, die sichtbar erscheint, denn eine sichtbare Sache kann es nur geben, wenn sich vor ihr eine Sache befindet, die unsichtbar ist. Ich will jetzt nicht sagen, dass die sichtbare Seite der Welt von einer unsichtbaren Seite gehalten wird, die mit dem Wort Jenseits identisch ist und von der man nicht weiss, was sie ist. Nein, vom Jenseits halte ich nichts, weil Wissen nicht jenseits oder diesseits sein kann, denn sobald sich das Wissen teilt, kann es kein Wissen mehr sein. Sobald sich das Wissen teilt, weiss es nicht mehr, sondern dann behauptet es irgendetwas, ja, dann behauptet es nur und verteidigt sich selbst. 


Es entbehrt jeder Logik, wenn man behauptet, das Denken wisse, was ist, und alles, was nicht gedacht ist, könne kein Wissen sein. Das Denken speichert sehr viel, aber natürlich nur das, was in es hineinpasst, was in seine Struktur passt, von der man ja weiss, dass sie sehr fein ist, aber nicht fein genug, um alles in sich zu nehmen. 
Alles, was Körper ist, was wie auch immer Materie ist, was Zeit ist und Zeit enthält, kann vom Denken erkannt und eingestuft werden, aber es liegt auf der Hand, dass das, was unsichtbar ist, aus dem Raster des Denkens fällt. Sichtbar ist alles, was Körper ist, was im Körper geschieht und was vom Körper ausgeht. Sichtbar ist alles, was welthaft erscheint, weil es Schöpfung enthält, ja, weil es sich so strukturiert, dass sich etwas ereignen kann.


Ein Ereignis ist kein Spektakel, sondern im Wortsinn ein sich Eigen Werden von dem, was sich selbst ist, ohne dass es sich selber sieht. Das sich Eigen Werden des Selbst vereinfacht dieses natürlich oder, besser gesagt, es verdichtet dieses in einer Weise, dass es sich sichtbar machen und wachsen und sich entwickeln kann. Das Ereignis der Schöpfung ist kein Wunder, sondern die Logik des Seins, das die Schöpfung erschafft, weil es sonst sinnlos wäre, weil der Sinn des Seins darin besteht, sich sichtbar zu machen, damit die Schönheit erscheint.
Das Sein ist, wenn man so will, die Schönheit selbst oder, anders gesagt, es ist vollkommen. Weil es vollkommen ist, ist es schön, aber andererseits weiss es nicht, wie die Schönheit entsteht, wie sie sich selber verwirklicht.  

Sobald sich die Schönheit verwirklicht, ist sie im Werden und im Vergehen, und es gibt dann für sie keine Dauer, denn die Dauer ist die Verwirklichung, aber nicht die Schönheit an sich. Man könnte jetzt sagen, dass es eine Frage der Definition ist und dass es auch schön ist, dass sich die Schönheit verwirklicht. Unbestritten, es ist sehr schön, dass sich die Schönheit verwirklicht, aber sobald sich die Schönheit erfüllt, ist sie schon wieder vorbei, und dies heisst für uns, für uns Menschen gewöhnlich, dass sie mit Leiden verbunden ist. 


Zum Leiden sagte schon Buddha, dass es die Existenz, die wir haben, bestimmt. Man kann, sagte er, die Existenz nur vom Leiden befreien, wenn man sich selbst erkennt und wenn man erkennt, dass das Selbst weder wird, noch vergeht, sondern ist. Er sagte, dass die Erkenntnis die entscheidende Sache ist, und weil er vollkommen sicher war, dass es so ist, zog er umher und blieb nicht am Ort, denn die Erkenntnis, so sprach er sehr oft, ist immer ein Weg, und wenn man den Weg geht, dann ist man am Ziel, weil es keinen Unterschied gibt. 
So sehr sich Buddha gegen das Leiden wehrte, so sehr wehrte er sich auch dagegen, dass man die Erkenntnis erzwingt. Sobald man die Erkenntnis erzwingt, ist sie weit weg, sagte er seinen Schülern, und sobald sie weit weg ist, verliert man sich selbst, und sobald man sich selbst verliert, verliert man die Richtung, was konsequenterweise bedeutet, dass man im Kreis herum geht. 


Im Kreis herum gehen viele, weil ihnen nicht klar ist, wie sich die Schöpfung ereignet. Die Schöpfung ereignet sich nicht indem sie einmal entsteht, sondern sie ereignet sich so, dass sie sich dauernd verwirklicht. Die Dauer der Schöpfung ist jedoch weder ein Schönheitereignis, noch ein Leidensereignis, sondern das eigentliche Ereignis, das Ereignis der Wirklichkeit, die sich verwandelt und die die eigene Energie verdichtet, um vom Sein in das Dasein zu kommen, um sich selber die Sprache zu geben, die spricht. 


Die Schöpfung ist eine Sprache, - eine Sprache, nichts sonst, und jeder, der spricht, der sich selber entspricht, weiss, wie schwierig es ist, einen Satz zu gestalten, einen einzigen Satz. Ich will jetzt nicht sagen, dass es sehr schwierig ist, Sätze zum Besten zu geben, denn Sätze werden von jedem gesagt. Ich will aber sagen, dass es Sätze und Sätze gibt und dass ein stimmiger Satz etwas ganz anderes ist als ein Satz, der deshalb entsteht, weil sich ein Gedanke oder ein Gefühl in der Vordergrund drängt. 
Ein stimmiger Satz ist ein Satz, in dem sich die Ganzheit verwirklicht, in dem sich die Schöpfung erschafft, weil er sichtbar macht, was unsichtbar ist. Jeder stimmige Satz ist wirklich, und jeder Satz, der vom Ich spricht und das Ich zum Mittelpunkt macht, kommt nicht über sich selber hinaus, weil er der Realität gehorcht und nicht dem, was hinter ihr ist. 


Wer einen Satz schreibt, setzt sich von der Realität ab, um in jene Wirklichkeit vorzustossen, die die dauernde Schönheit enthält. Die dauernde Schönheit ist diese, die die Erkenntnis besitzt, die Selbsterkenntnis, die das Dasein so seinshaft macht, dass es nicht irgendwo stehen, sondern am Anfang bleibt. 
Am Anfang verweilt die Schönheit, weil er der Übergang ist, der Schnittpunkt, könnte man sagen, in dem sich das Sein in das Dasein verwandelt oder, besser gesagt, in dem sich die Seinsenergie materialisiert und jene Zeit konkret macht, in der es ein dauerndes Feuerwerk gibt, ein Werk, das sich entzündet und das ebenso schnell erlöscht. 


Das Entzünden wird immer als schön empfunden, und das Erlöschen wird als tragisch erlebt, aber wenn das Entzünden und das Erlöschen im gleichen Moment passieren, dann wird man geboren und stirbt, dann ist jeder Moment ein solcher, der alles enthält. 
Ein stimmiger Satz ist einer, der alles enthält. Und weil solche Sätze sehr selten sind, kommt es auch selten vor, dass sich die Realität entsetzt von ihren Standardsätzen abwendet und von sich aus in die Wirklichkeit geht. Ich will jetzt natürlich nicht sagen, dass die Sätze die Realität verändern, aber die Sätze sind durchaus Sprengsätze, und wenn viele Sätze zusammen kommen, dann implodiert die Realität, weil die Sätze subversiv sind, weil die Subversivität der Sätze die Statik der Realität erschüttert und ihr jenen Halt nimmt, der sie am Leben hält. 


Die Realität ist jetzt schon so weit, dass sie den Sätzen, die stimmen, nicht standhalten kann, und deshalb wehrt sie sich so dagegen, dass sich die Sprache den Raum nimmt, der ihr und nur ihr gehört. Die Realität wollte schon immer, dass sich die Dichter und Philosophen in ihre Dienste stellen. Natürlich konnten ihr immer nur wenige widerstehen. Aber diese, die ihr widerstanden, zogen die Sprache dorthin, wo das Ereignis des Schöpfung stattfindet. 
Das Ereignis der Schöpfung wirkte sich immer aus, dass die Realität überholt und von der Wirklichkeit eingeholt wurde. 


Hua Hin, 4./7. Februar 2011

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