04.02.11

5 - Im Innern des Seins

Meantime, Gulf of Thailand, Hua Hin, 2011
Wie ist es im Sein? Wie verhält es sich dort, wo das Da nicht ein Da ist, sondern ein Nicht, eine zeitlose Schwingung, eine Schwingung, die man im strengen Sinn gar nicht als Schwingung bezeichnen kann, denn eine Schwingung setzt sich so fort, dass man von einer Entwicklung sprechen kann. Das Sein kennt keine Entwicklung, und es ist auch nicht so, dass es eine Eigenschaft hat, denn Eigenschaften kann es nur geben, wenn es ein Da gibt, ein zeitliches Da, das nicht steht, sondern dauernd vergeht. 
Eigenschaften sind Zeitfaktoren, und jede Eigenschaft ist ein Ergebnis des Wandels, der nur da und nicht irgendwo sonst geschieht. Wandel und Eigenschaft hängen zusammen, was konsequenterweise bedeutet, dass sich das Sein nicht als etwas, das Eigenschaften besitzt, beschreiben lässt.


Meantime, Gulf of Thailand, Hua Hin, 2011
Die Schwierigkeit, dem Sein eine Sprache zu geben, ist aber noch grösser, denn es entzieht sich der Sprache, weil es jenseits der Sprache ist. Wie kann man sprachlich erfassen, was jenseits der Sprache ist? Immer wieder wurde diese Frage gestellt, von Dichtern und Philosophen, aber Antworten konnten nur wenige geben, nur diese, die den Sprung vom Dasein ins Sein gemacht hatten, von der Sprache in dieses Schweigen, das, so könnte man es formulieren, die andere Seite der Sprache ist. 
Das Sein ist im Dasein enthalten, und das Schweigen ist in der Sprache enthalten. Aber beides, das Sein und das Schweigen, wird nur wirksam, wenn sich die andere Seite öffnet, wenn die andere Seite am Anfang ist. 


Am Anfang sein, kann nur heissen, am Anfang der Schöpfung sein, also an diesem Ort, wo sich das Sein in das Dasein bringt, wo sich das Sein konzentriert, um jene Entwicklung konkret zu machen, in der wir uns alle befinden. Wer sich in einer Entwicklung befindet, befindet sich selbstverständlich auch dort, wo sich das Sein befindet, denn eine Entwicklung ohne das Sein wäre wie ein Auto ohne Motor. 
Selbstverständlich ist das Sein kein Motor, aber mit Vergleichen wird vielleicht klar, was das Sein wirklich ist. Die Entwicklung braucht einen Beweger, und wenn kein Beweger vorhanden ist, verliert sich der Trieb, der Entwicklungstrieb, bevor er etwas erreicht.


Meantime, Gulf of Thailand, Hua Hin, 2011
Eine Entwicklung ist in gewisser Weise ein Trieb, der etwas Eigenes schafft, was wiederum heisst, dass der Sinn eines Triebs darin besteht, einer Sache Gestalt zu geben. Eine Sache gestalten würde also bedeuten, einen Trieb in eine Richtung, in die Richtung der Schöpfung zu lenken. 
Wer heute von Trieben spricht, wird jedoch von der Realität eingeholt, von der Realität dieser Triebe, die sich selbstständig machen, um dem Da dieses Erlebnis zu geben, das wie ein Seinserlebnis erfahren wird. 


Wir leben in einer triebhaften Zeit, in einer von Trieben beherrschten Zeit, was weniger damit zu tun hat, dass die Triebe stärker geworden sind, als damit, dass die Triebe den Sinn verloren, den sie eigentlich haben. Die Triebe verloren den Sinn, weil ihr Wissen verloren gegangen ist. Wissen ist immer Seinswissen, und wenn sich dieses verflüchtigt, verflüchtigt sich auch der Sinn, denn der Sinn hängt vom Wissen ab, was wiederum heisst, dass der sich selbstständig machende Trieb im Wortsinn ein sinnloser und unwissender Trieb ist, ein wilder Trieb, der sich selber nicht kennt, weil er seinen eigenen Antrieb nicht kennt. 
Es ist heute so, dass wilde Triebe die Herrschaft besitzen, die Herrschaft über die Realität. Wir leben in einer triebgesteuerten Realität, in einer sich selber treibenden Realität, in der sich kaum jemand mit sich selber so auseinanersetzt, dass er den Sprung vom Trieb in den Antrieb macht. Wer in der Realität Erfolg haben will, kann sich nicht anders verhalten. Sein Erfolg hängt wesentlich davon ab, dass er sich treiben lässt, dass er dem Trieb der Gesellschaft gehorcht und dass er seine eigenen Triebe mit diesem vereint. 


Meantime, Gulf of Thailand, Hua Hin, 2011
Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass sich jemand anders verhält, denn sobald sich jemand anders verhält, wird er ins Abseits gestellt, in dieses Abseits hinein, in dem das Dasein sehr schwierig ist. Schwierig ist es im Abseits, weil in ihm keine Sicherheit herrscht, weil in ihm die Realität dem Terror gleich kommt, weil in ihm die Dinge so sichtbar sind, dass die Sachen kaum mehr erträglich sind. 
Wer vom Trieb in den Antrieb geht, wird jedoch nicht nur bestraft, sondern ebenso sehr belohnt. Er wird wie jener belohnt, der seine Schwere verlässt, um in die Leichtigkeit seines Seins zu gelangen. Er erlebt, dass er eine andere, eine leichtere Schwingung bekommt. Und weil er eine andere Schwingung bekommt, ist jene Schwierigkeit, von der ich jetzt sprach, keine Schwierigkeit mehr, sondern etwas, das man erträgt. Im Abseits ist die Realität eine schreckliche Sache, denn sie sieht dort so aus, wie sie ist. Aber die Realität, die so aussieht, wie sie tatsächlich ist, hat den Vorteil, dass man zu ihr dieses Verhältnis bekommt, das alles, was zu ihr gehört, so distanziert, dass der Schrecken nicht überhand nimmt. 


Sobald sich dieser, der sich im Abseits befindet, nicht als Opfer begreift, sondern als dieser, der eine Chance besitzt, wird ihm die Freiheit geschenkt, so zu entscheiden, wie es dem Sein entspricht. Dem Sein entsprechen bedeutet, den eigenen Raum so vergrössern, dass er im Wortsinn unendlich wird. Im unendlichen Raum des Seins ist natürlich alles ganz anders als dort, wo es die Grenzen des Denkens und Glaubens gibt, in denen der Anfang ein Fremdwort ist, weil das Ende allgegenwärtig ist. 
Im Seinsraum verwirklicht sich diese Dingwelt, die weder Zeit noch Materie ist, denn das Sein hat kein Da und weil es kein Da hat, ist es in keiner Weise bedingt. Die Unbedingtheit des Seins kann sich der Sprache mitteilen, vorausgesetzt allerdings, dass dieser, der spricht oder schreibt, nicht an das Dasein gebunden ist, sondern so lebt, dass er sich dauernd bewegt, vom Dasein ins Sein und vom Sein in das Dasein bewegt. 


Meantime, Gulf of Thailand, Hua Hin, 2011
Dieser, der reist, von einer Dimension in die andere reist, weiss, wie sich von selber versteht, mehr als dieser, der steht, der einen Standpunkt vertritt und von diesem nicht abrücken kann, weil er in seinem Dasein, aber nur in ihm ist. Wenn jemand nicht steht, sondern reist, um das herum reist, was welthaft erscheint, dann sieht er die Dinge, die innen sind, ja, dann sieht er das Sein, das dem Dasein diese Struktur gibt, die es überhaupt hält. 
Das Sehen ist dann ein durch das Dasein hindurch Sehen, ein das Sein erkennendes Sehen, ein Sehen, das alles ins Blickfeld nimmt, ein Sowohl-als-auch-Sehen, ein Sehen, das sieht, einfach sieht, ohne an Grenzen zu stossen. Sehen bedeutet erkennen, ja, sehen bedeutet, so nahe an alles zu kommen, dass man die Seele sieht. Sobald man die Seele des Seins sieht, sieht man sich selbst, und sobald man sich selbst sieht, weiss man auch gleich, dass sich das Dasein nur aus dem Sein begründet und dass das Sein alles erschafft, was sichtbar erscheint. 


Im Innern des Seins gibt es nichts. Es gibt überhaupt nichts, weil Wissen nichts ist, weil Wissen so ist, dass es einfach nur ist. Wer weiss, was Wissen bedeutet, weiss, was das Sein enthält. 


Hua Hin, 29.01./04.02.2011

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen