14.02.11

8 - Winde winden im Wind

Was jetzt in der Welt geschieht, ist vergleichbar mit dem, was die Sprache entlässt, wenn es kein Wissen mehr in ihr gibt, von dem sie getragen wird. Wenn die Sprache nur noch Sprache, nichts anderes ist, wenn sie nur noch mittelbar ist und nicht mehr unmittelbar oder, anders gesagt, wenn sie einfach nur Werkzeug ist, dann wird sie in jede Richtung geschleudert, weil jeder sie braucht, wie er will.

Wenn jeder die Sprache benützt, einfach benützt, und nicht mehr mit ihr erkennt, weil er sich ihr hingibt, wirkt sich dies so aus, dass es einen Sturm nach dem anderen gibt, weil niemand mehr weiss, was gilt. Ich will damit sagen, dass das Elementare nicht mehr zum Zug kommt, wenn die Sprache nur noch die Sicht des einzelnen widergibt und nicht mehr die Sicht, die allem zugrunde liegt. Die allem zugrunde liegende Sicht ist keine Ansicht und weder ein Über-, noch eine Untersicht, sondern die Sicht, die der Schöpfung entspricht. 

Die der Schöpfung entsprechende Sicht kann niemand für sich in Anspruch nehmen, aber jeder kann sich in sie hinein geben, wenn er der Sprache gehorcht. Wenn ich gehorchen sage, dann sehe ich gleich, dass sich sehr viele dagegen sträuben, denn Gehorsam ist im Verständnis der meisten nicht eine Tugend, sondern die Pflicht, die man der Gesellschaft schuldet und der man nicht freiwillig nachkommt, sondern nur deshalb, weil man es muss. Da die Sprache aber nicht eine Dimension, sondern viele Dimensionen beinhaltet, wäre es falsch, den Gehorsam zur Pflicht zu machen und ihn in einen Topf mit dieser zu werfen. Der Gehorsam ist, wenn man ins Wort hinein hört, die Tugend des Hörens, die Tugend des Ohrs, das alles hört, alles, auch das, was sozusagen vor dem Hörbaren ist, was innen ist, dort, wo es noch keinen Ton gibt, sondern die Schwingung, die still steht und sich nicht bewegt.


Der Stillstand ist in der Welt keine Tugend, sondern die schlimmste Sache, die es überhaupt gibt. Der Stillstand ist in der Welt der Tod, denn er stellt die Schöpfung in Frage und verleugnet sie so, dass sie die Schönheit verliert. Der Stillstand ist keine Sache, die dem Gehorsam entspricht, sondern sie ist diese Sache, die sich aus der Pflichterfüllung ergibt und die nicht natürlich, sondern künstlich entsteht. Es gibt keine Pflichterfüllung, wo es keine Gesellschaft gibt. Es gibt aber immer Gehorsam, wenn jemand in Übereinstimmung ist, in Übereinstimmung mit sich selbst und mit dem, was die Schöpfung enthält. 


In Übereinstimmung sein heisst hören, auf das, was innen ist, hören, vom Hören ausgehen und von ihm her in das hinein gehen, was man als Weltsicht bezeichnet. Wir können die Welt erkennen, wir können sie sehen oder wir können sie so anschauen, dass sich ein Bild ergibt, ein Weltbild, von dem wir dann sagen, dass es der Erfahrung entspricht. 

Die Erfahrung ist immer der Maßstab, von dem wir ausgehen und von dem wir behaupten, dass er der richtige ist. Der richtige Maßstab kann aber nicht dieser sein, den dieses Erleben erzeugt, das subjektiv und an Muster gebunden ist, denn die Subjektivität kann kein Maßstab für irgendwas sein. Die Subjektivität ist immer nur subjektiv, und von ihr her auf alles zu schliessen, ist weder vernünftig, noch sinnvoll, denn so engt man nur alles ein.


Die Verengung, die durch die Subjektivität entsteht, ist in der heutigen Welt normal, denn es gibt nur noch eines: Das Diktat der Sicht, die der einzelne hat und die der einzelne mit Nachdruck vertritt. Der einzelne ist in der heutigen Welt der Diktator, und jeder einzelne verlangt von sich selbst, dass er seiner Sicht zum Durchbruch verhilft.

Deshalb entsteht dieser Sturm, von dem ich am Anfang gesprochen habe. Wir leben im Dauersturm, weil sich die Diktatoren vervielfacht haben, weil es Millionen von Diktatoren gibt, die die eigene Stimme zur wichtigsten Stimme machen und die die eigene Erfahrung mit dem verwechseln, was wirklich wichtig und wertvoll ist.

Was wirklich wichtig und wertvoll ist, ist, dies kann niemand bestreiten, die Schöpfung, - die Schöpfung, nichts sonst. Die Schöpfung ist wichtig, weil sie die einzige Sache ist, die es gibt, die einzige wirkliche Sache, die natürlich und in sich vollständig ist. Alle anderen Sachen sind unvollständig, und sie sind nicht selten nicht einmal natürlich, sondern so künstlich, dass man mit ihnen nichts anfangen kann. 

Mit den künstlichen Sachen kann man nur etwas machen: Man kann seine Subjektivität verstärken und wie eine Waffe einsetzen. Tatsächlich ist die Subjektivität keine harmlose Sache mehr, wenn sie künstlich verstärkt und so eingesetzt wird, dass sie einem Sturmgewehr gleicht. Der Sturm ist dann kein harmloser Sturm mehr, sondern ein Krieg, ein Glaubenskrieg, und sobald der Glaubenskrieg tobt, kann kein Weg mehr beschritten werden, kein natürlicher Weg, denn es gibt keinen Glauben, der offen und so ist, dass er alles mit einbezieht. 


Die Subjektivität ist immer ein Glaube, und weil wir im Glaubenszeitalter sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass die Stürme so heftig werden, dass sie die Realität zerstören, in der wir jetzt sind. Die Stürme verklingen nicht einfach, sondern sie wollen in jedem Fall den Sieg erringen, den Endsieg, weil ihr Wesen darin besteht, sich so durch alles hindurchzukämmen, dass nichts mehr bleibt, wie es war. 

Es gab im letzten Jahrhundert so viele Stürme wie nie zuvor. Und in diesem Jahrhundert wird es noch so viele Stürme geben, dass diese, die glauben, an nichts mehr glauben, denn einmal hört auch der Glaube auf. 
Einmal hört dieser Glaube auf, der sich seit Jahrhunderten, ja, seit über zweitausend Jahren über die Welt ergiesst und der diese zu etwas gemacht hat, wofür ich keine Worte besitze. 


Die Sprache ist wortlos, wenn es um diesen Sturm geht, der nicht einmal Halt davor machte, das Schönste und Liebenswerteste, was es gibt, in den Dreck zu ziehen, in den subjektiven Dreck, der alles verstümmelt und alles verletzt. Der subjektive Dreck, der entsteht, wenn jeder sein eigener Maßstab ist, wenn es kein Mass mehr gibt, ist wie eine Krankheit, die sich verbreitet und die jeden irgendwie handicapiert.

Jeder ist heute handicapiert, weil sich der Dreck in den Gedanken und in den Gefühlen festsetzt und weil jeder im Wortsinn betroffen ist. Die Betroffenheit durch den Dreck ändert wenig an dem, was der einzelne macht. Im Gegenteil, der einzelne verkehrt den Dreck, den er bekommt, in die Freiheit dieser Verwahrlosung, dieser Verrohung, die jetzt sein Leben bekommt. Der einzelne lebt seine Freiheit, indem er sich selbst erlöst, von diesen Schranken erlöst, die ihn eingeschränkt haben, weil er die Pflichterfüllung gelernt, aber nie gelernt hat, in sich selber zu hören, in die Schöpfung, die er besitzt. 


Wer immer gehorcht hat, wer immer nach allen Pfeifen tanzte, wer seine Sicht immer den anderen Sichten anpasste, wer sich den Eltern, den Lehrern, den Meistern verpflichtet fühlte, wer sich selber verleugnet hat, um von anderen anerkannt zu werden, wer seinen Erfolg erkauft hat, indem er sich selber den Stillstand gab, ist immer im Sturm, im stürmenden Angriff gegen die Sprache, die alles erlaubt und alles ermöglicht, die aber nur diesen gehorcht, die hören, was in ihr ist. 
Dieser, der seine Subjektivität über die Sprache stellt, ist keiner, der spricht, sondern einer, der stottert und schreit, einer, der seinen Standpunkt vertritt und der seinen Stillstand verschleiert, indem er so tut als ob.


Der sprechende Mensch ist kein subjektiver Mensch, sondern ein hörender Mensch, ein in sich horchender Mensch, ein in jedes Wort gehender Mensch, ein jedes Wort vertiefender Mensch, ein der Schöpfung verpflichteter Mensch, einer, der sich von keinem Glauben verführen lässt, einer, der jeden Wind in sich erlebt, der erlebt, wie Winde winden im Wind.
Wer sagt, dass die Subjektivität ein Geschenk ist und dass sie den Fortschritt, den wir erreichten, erst möglich machte, der sagt einfach nur, dass er sich nicht aus seiner Subjektivität in diese Selbsterkenntnis entwickelt hat, die es erst möglich macht, dass er seine eigene Schöpfung verwirklicht. 

Hua Hin, 13.02.2011







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